Ein beweglicher Schirmherr aus Köln und Ausgangspunkt für Fahrrad-Touren und „Entdeckungsreisen“ zum Niederrhein und in die Niederlande.

  • 2_Straelen_alte Wasserstelle
  • 3_Straelen_Treibhäuser
  • 10_Grenz-Karte
  • 1_Straelen Marktplatz
  • 7_Straelen
  • 8_Park bei Straelen

Umgeben von grünen Wiesen, Feldern, Wäldern und riesigen Treibhausanlagen befindet sich Straelen, eine kleine ruhige Stadt am Niederrhein in der Nähe zu Holland, Venlo.

In diese Abgelegenheit zog es uns im Spätsommer, um ein paar ausgedehnte Fahrrad-Touren im Deutsch-Niederländischen Grenzgebiet zu unternehmen, die Heidelandschaft anzuschauen und Venlo (Niederlande). Die Stadt Straelen – ausgesprochen wie „Strahlen“ – selbst war für mich ein eher unspektakulärer Ruheplatz, der sich bei näherer Betrachtung doch als interessant herausstellte. Hier begegnen uns wieder Anno II. von Köln und die Benediktiner der Abtei Michaelsberg in Siegburg („Die neue Woche in Australien“ Nummer 19 vom 13. Mai 2014, Seite 17). Unser Stadtrundgang am Vorabend unserer ersten Fahrrad-Tour führte uns am Marktplatz vorbei an einem Brunnen mit beweglichen Figuren, die einen Geistlichen, eine blumen-geschmückte Frau und einen Clown zeigten. „Was hat es denn mit dieser Kombination auf sich?“, frug ich mich. Auf der Internetseite der Stadt Straelen – das Smartphone tat dank hervorragendem Telekom-D1-Netz wieder gute Dienste – fand ich die Erklärung zu den von Bonifatius Stirnberg aus Aachen geschaffenen Figuren: Bei dem Geistlichen handelt es sich um Bischof Anno II. aus Köln, der als Schutzherr Straelens fungierte und auch im wirklichen Leben „beweglich“ im übertragenen Sinne gewesen sein soll – immerhin Reformbewegungen gegenüber offen, damals wie heute eher selten anzutreffen. Die blumengeschmückte Frau stellt eine Blumenkönigin dar und der Clown ist eine Hommage an das Brauchtum; denn die „Blumenstadt Straelen“ hat auch eine karnevalistische Tradition – Straelen jedoch als „karnevalistische Hochburg“ des Niederrheins zu akzeptieren, fällt mir als Kölner nun doch zu schwer und so belasse ich es beim neutralen „karnevalistische Tradition“. Auch fielen uns im Altstadtbereich immer wieder kleine Pumpenhäuschen auf. Diese waren vor gut 200 Jahren hier üblich: für die damalige Zeit praktisch und eine enorme Erleichterung für Anwohner und Handwerksbetriebe, zum Beispiel Küfer. Weiterhin sehenswert sind hier die Peter und Paul geweihte Pfarrkirche mit ihren Schnitzaltären (geschaffen um 1500) und dem Taufbecken aus dem 12. Jahrhundert.

Obwohl die für die Römer wichtige Fernverbindung Xanten – Tongeren (Belgien) Straelen tangiert, wird eine Siedlung auf dem Gebiet Straelens urkundlich erstmals um 1060 nach unserer Zeitrechnung erwähnt. Um diese Zeit herum vermacht Graf Bruno von Heimbach Anno II. seine Straelener Besitztümer, die jener seinerseits um 1064 der Benediktinerabtei Siegburg übereignet.

Von kriegerischen Zeiten, in denen Straelen sich mit einer Stadtmauer und einem zweifachen Graben versuchte vor Überfällen zu schützen, zeugt am Klosterplatz (nahe des Westwalls) noch eine Kanone. Diese mussten niederländische Truppen nach einem vergeblichen Eroberungs-versuch während des spanisch-holländischen Krieges zwischen 1568 und 1648 zurücklassen.

Von hier aus machen wir uns also auf den Weg, nunmehr friedlich grenzüberschreitend zwischen Deutschland und Holland zu radeln, ohne die mir noch in Erinnerung befindlichen lästigen Grenzkontrollen – dem europäischen Gedanken und seinen Vordenkern sei Dank.

 

Aus dem vielfältigen Angebot an Fahrrad-Routen wählen wir die „Venlo-Route“.

Nicht nur zur Floriade, die alle 10 Jahre in den Niederlanden stattfindet (zuletzt 2012 in Venlo) lockt Venlo; denn die zahlreichen Gartencenter der Region um Venlo herum ziehen den Blumenfreund auch außerhalb solcher Events spürbar an. Wir machen uns auf die 34 km lange Rundfahrt – eine Strecke mit wenig Steigungen und geringem Schwierigkeitsgrad – um die baulichen Schönheiten der alten Hansestadt anzuschauen. Dabei erfahre ich, dass die staatliche Zugehörigkeit der Stadt und ihrer Umgebung im Laufe der letzten Jahrhunderte bis in die Neuzeit hinein mehrmals wechselte und deren Bevölkerung zeitweise stark zu dem katholisch geprägten Belgien tendierte. Im heutigen Europa sollte es rational gesehen keinen mehr Unterschied machen, zu welchem Staat eine sprachlich und kulturell gemischte Region gehört – jedoch, dies ist bekanntlich keine rationale Frage sondern eine mit starken Emotionen geprägte wie einige Separationsbestrebungen in Westeuropa (England/Schottland, Katalonien, Südtirol …) zeigen. Auf der grenzkontrollfreien Route nach Venlo tangieren wir eine alte Römerstraße, werden an einem Informationspunkt auf den alten Grenzverlauf zwischen dem kurfürstlichen Cölln und Geldern aufmerksam gemacht und überqueren die Maas mit einer kettengeführten Fähre. Im Unterschied zu den um 1650 vom Niederländer Hendrick Heuck entwickelten effizienten „Gierseilfähren“, die zur Querung eines Flusses nur dessen natürliche Strömung benötigen, wird eine solche Fähre mit Hand- oder heutzutage mit Motorkraft entlang einer fest installierten Kette von einem Ufer zum anderen geführt. Während der Tour nehme ich wahr, dass die Fahrradwege hier in diesem fahrradfreundlichen Land in geradezu idealer Weise strukturiert und gekennzeichnet sind, so dass immer eine gute Orientierung möglich ist.

In Venlo stärken wir uns gegenüber dem historischen Rathaus mit niederländischen Spezialitäten, aber belgischem Bier, bevor wir zu einem Stadtrundgang aufbrechen. Außer dem Rathaus fallen mir keine besonders hervorzuhebenden Sehenswürdigkeiten auf, abgesehen vom optischen Gesamteindruck der Altstadt mit ihren schönen Gebäuden im typischen niederländischen Stil und dem Ufer der Maas. So geht es bald auf den Rückweg, wobei wir in der Umgebung immer wieder halt machen. Wir durchqueren einen Teil der Venloer Heide, radeln vorbei an kleinen Seen und versuchen einen Blick auf das Wasserschloss „Haus Coull“ zuwerfen, das aber durch dichten Baumbestand recht abgeschottet ist. Dafür entschädigt uns am nächsten Tag ein ausführlicher Blick auf den Herrensitz „Haus Caen“ an der Landstraße nach Wachtendonk.

  • 4_Überfahrt über die Maas
  • 5_Landnidylle
  • 9_die Maas
  • 11_historisches Rathaus Venlo
  • 6_Waldidylle
  • 8_Park bei Straelen

 

Am zweiten Tag durchqueren wir den Marienwallfahrtort Kevelaer und sind froh, nicht zum Zeitpunkt der Fuß- und Radwallfahrt hier Rast zu machen.

Das hat aber nichts mit unseren vorhandenen oder nicht vorhandenen religiösen Ansichten zu tun, sondern mit den dann hier anzutreffenden Menschenmassen; auch ohne Wallfahrt waren wir hier fürwahr nicht einsam. Nicht bedacht haben wir, dass die Anziehungskraft Kevelaers vergleichbar mit derjenigen Lourdes im Süd-Westen Frankreich ist.  Seit 1642 fungiert Kevelaer als Wallfahrtort für marienverehrende Christen. Inzwischen zieht dieser kleine Ort jährlich etwa eine Millionen Menschen aus verschiedenen Ländern an und gilt als der bedeutendste Marien-wallfahrtort im Nord-Westen Europas. Wie auch in Lourdes so ist auch hier der Beginn der Marienverehrung durch eine „Erscheinung“ angestoßen worden: während des Dreißigjährigen Krieges passierte im Jahre 1641 ein Reisender, Hendrick Busman, auf dem Weg nach Geldern ein Hagelkreuz (andernorts „Wetterkreuz“ genannt), hielt kurz zum Gebet an und hörte dabei eine Stimme, die ihn zum Bau einer Kapelle aufforderte. Dies wiederholte sich seiner Wahrnehmung nach einige Tage später und so entschloss er sich trotz geringer eigener Mittel, hier eine kleine Kapelle zu errichten. Es ist sicherlich keine Blasphemie festzustellen, dass die tiefe religiöse Durchdringung unserer Altvorderen heute so manchen Nachfahren auch gute Geschäfte sichert – bringen eine Million Besucher doch ohne Zweifel auch Wohlstand in diese Region. Am Rande sei erwähnt, dass der Abtprimas des Benediktinerordens Pater Dr. Notker Wolf am 03. Dezember 2014 anlässlich der Verleihung des Marketing-Preis-Kevelaer als Referent mitwirkt und einen Vortrag halten wird: „Moralische Werte in einer modernen, vernetzen und globalen Welt.“ Dass die Ordensregeln der Benediktiner, im Wesentlichen verfasst durch Benedikt von Nursia (geb. um 480 in Nursia, Italien; gest. 21. März 547 auf dem Monte Cassino) auch heute noch allgemein weltlich verwertbar sind, zeigt auch anschaulich Dr. Baldur Kirchner in seinem Buch „Benedikt für Manager – die geistigen Grundlagen des Führens“ (Gabler Verlag, ISBN 3-409-19194-1).

 

Somit entpuppte sich die Gegend um Straelen letztlich nicht nur als ruhig und erholsam, sondern als landschaftlich und kulturell interessant – und auf jeden Fall eine Reise wert.