Köln in Zeiten der Corona wiederentdecken

   

Den Rhein entlang vom Rheinau-Hafen bis zur Eigelsteintorburg

gibt es dies und das, einfach so vieles zu sehen und zu erzählen.

Es bedurfte nicht unbedingt die durch Corona gedämpfte Lust auf Reisen, um das Nahegelegene neu zu entdecken. Im Umkehrschluss der Erkenntnis aus Plisch und Plum von Wilhelm Busch: „Schön ist es auch anderswo. Und hier bin ich sowieso.“, sagte ich mir auch schon vor Corona: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Schöne (Köln) liegt so nah!“.

Aber die Pandemie beschleunigte mein Vorhaben und so begab ich mich in meine Geburtsstadt Köln, um die Orte meiner Kindheit und Jugendzeit neu zu entdecken.

Zuallererst zog es mich zum Rheinufer, um dessen Promenade, die südlich und nördlich des Kölner Doms einiges Sehenswertes bietet, mit den Augen eines Erwachsenen zu erkunden. Ich wurde nicht enttäuscht; denn vieles stellt sich heute erheblich schöner dar als dazumal. Um auf die dort aufgereihten Kleinode aufmerksam zu werden, bedarf es nicht viel. Aber um sie im historischen Kontext richtig einzuordnen, ist doch mehr als ein interessiertes Auge nötig. Hierbei halfen mir zum Teil kurze Beschreibungen, wie sie beispielsweise in dem kleinen Büchlein „111 Kölner Orte, die man gesehen haben muss“ von Bernd Imgrund aufgeführt sind.

 

 

 Am Rheinauhafen, einem ehemaligen Zollhafen,

der heute geprägt ist durch Wohn- und Bürogebäude, Stätten für Kunst, Kultur und Gastronomie, beginnt meine kleine Tour.

Genauer gesagt, das erste Objekt der Begierde meines nostalgischen Spaziergangs war die aus dem Kölner „Tatort“ bekannte „Wurstbraterei“, die ab Oktober 2020 im Freilichtmuseum Kommern zu sehen sein wird.

Hätte ich geahnt, dass diese Institution auch einmal aus Altersgründen aufgegeben werden könnte, hätte ich mir dort trotz der Abwesenheit von Hunger eine der legendären Bratwürste gegönnt.

Die aus den Kölner Tatort-Krimis bekannte "Wurstbraterei" (jetzt im Freilichtmuseum Kommern zu bewundern).


Wie nun auch diese im Kirmeswagen-Stil gestaltete Imbissbude ein neues Leben erfährt, so veränderte sich seit Jahrzehnten nach und nach Anblick und Nutzung des Areals des alten Zollhafens.

Bis in die 1950`er Jahre war der ehemalige Zollhafen aus dem 15./16. Jahrhundert der wichtigste der vier Kölner Häfen. Mit dem Endausbau der Niehler Häfen I und II in den 1970`er Jahren verlor der Rheinauhafen vollends seine wirtschaftliche Bedeutung und wandelte sich zum Jachthafen.

Als Kind ist mir der Rheinauhafen nicht als ein bedeutender, großer Hafen in Erinnerung. Fasziniert haben mich hier Ende der 1950`er Jahre die Fischer mit ihren kleinen Fischerbooten. So beobachteten wir Kinder gerne, wenn sie nach erfolgreichem Fang von im Rhein lebenden Fischen zurückkehrten, ihren Fang löschten und die Netze zum Trocknen und Säubern auslegten – „Folklore“, wie sie heutzutage nur noch in kleineren Häfen von Küstenorten zu anzutreffen ist. Doch dies währte aus meiner Erinnerung auch nur eine kurze Zeit; denn die zunehmende Verschmutzung des Rheins machte zuerst die Fische ungenießbar und dann den Rhein beinahe frei von Leben jeglicher Art.

In Erinnerung ist mir auch der Duft der Schokoladenfabrik Stollwerck geblieben, die in unmittelbarer Nähe des Hafens angesiedelt war. Als die Fabrik in den 1970`er Jahren erweitert werden sollte, wurde ein neuer Standort gesucht und auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Köln-Porz gefunden. Die Frage: „Was soll mit den alten, nicht mehr benötigten Maschinen oder dem Inventar geschehen?“ trieb dem Vernehmen nach den Eigentümer der Schokoladenfabrik, Dr. Hans Imhoff um, und so reifte in ihm der Gedanke, ein Schokoladenmuseum zu bauen.

Es wurde ohnehin in den 1970`er Jahren Zeit, sich Gedanken über die weitere Nutzung des Hafengeländes und seiner Gebäude zu machen.


Rheinau-Hafen: ein altes Fischerboot, die MicroSoft-Zentrale Deutschland, der "dicke Hercules" (Kran)

und die Kranhäuser (von der Hihenzollernbrücke aus gesehen)


So war es naheliegend, einen Teil des in der Nähe der ehemaligen Fabrikanlagen befindlichen Hafengeländes mit seinem schönen Blick auf den Rhein und dem Kölner Rheinufer um den Dom herum als Standort für das Schokoladenmuseum zu nutzen. Realisiert wurde die Idee eines Museums Anfang der 1990`er Jahre, so dass wir – meine Ehefrau und ich – nun mit unseren Kindern hier nicht nur den Duft von Schokolade genießen, sondern diese Köstlichkeit auch aus einem Schokoladenbrunnen schöpfen konnten, beinahe wie im Schlaraffenland.

Heute bin ich lieber im Museums-Café bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen mit Blick auf dem Rhein, und so mache ich hier auch diesmal eine kleine Pause.

Nach der Errichtung des Imhoff-Schokoladenmuseums blieb es längere Zeit bei kleineren baulichen Anpassungsmaßnahmen im Hafengebiet, bis hier 2006/2008 das futuristische Gebäude der Microsoft-Niederlassung Deutschland errichtet und um 2009 mit dem Bau der sogenannten Kranhäuser begonnen wurde.

Im eigentlich Hafenbereich, der heute von kleinen Jachten und Segelbooten genutzt wird, fällt der Kontrast zwischen der ehemaligen Hafenverwaltung im hanseatischen Baustil und dem sehr modern, beinahe fragil aussehendem Micro-Soft-Verwaltungsgebäude auf. Beide Gebäude haben nach meinem Geschmack architektonische Schönheit und somit ihren Reiz. Dies empfinde ich bei Betrachtung der erdrückenden Kranhäuser, die aus überdimensionierten Legosteinen bestehen könnten, nicht. Dieser 2011 fertiggestellte Gebäudekomplex teilt nun die Geister; denn über Geschmack kann man trefflich streiten. Und vorbei kommt man an diesem Ensemble nur schwer; denn es ist neben dem Kölner Dom das Erste oder das Letzte, das jede/jeder Reisende sieht, die/der Köln mit der Bahn erreicht oder verlässt.

Wenn nicht vor diesen Kranhäusern der „Dicke Herkules“ stehen würde, wäre das somit kein Ort, um länger zu verweilen.

Beim „Dicken Herkules“ handelt es sich um einen im Jahr 1897 – in der Blütezeit des Rheinauhafens – in Betrieb genommenen Kran mit einer Hebelast von 30 Tonnen. Während der ersten zehn Jahre wurde dieser Kran rein mit Muskelkraft betrieben. Selbst unter Anwendung von Hebelgesetz und Flaschenzug wurden zum Betrieb des Krans immerhin noch sechs sehr starke Männer benötigt. Doch schon 1906 wurde die Muskelkraft durch Elektrizität ersetzt.


Ein Höhepunkt im „Leben“ des „Dicken Herkules“ war sicherlich am 14. November 1924 die Umladung des 24 Tonnen schweren „Dicken Pitter“, der „Petersglocke“, von einem Waggon der Reichsbahn auf einen Tieflader, um die letzten Kilometer zum Kölner Dom zurücklegen zu können. Der „Dicke Pitter“ erschallte und erschallt aufgrund seiner starken mechanischen Auswirkung auf die Bausubstanz des Südturms nur zu ganz besonderen Anlässen – und dieses Wummern, dieser mächtige, tiefe Ton der tontiefsten freischwingenden Glocke weltweit, hat uns als Kinder im kilometerweit entfernten Köln-Ehrenfeld stets beeindruckt.


Die Eigelsteintorburg am Ebertplatz,

stracks an der Philharmonie, dem Kölner Dom und dem Hauptbahnhof vorbei, war mein nächstes Etappenziel, verbrachte ich doch in meiner Kindheit immer wieder einige Tage oder Wochen bei Tante und Onkel am Sudermannplatz, ganz in der Nähe des Eigelsteins/Ebertplatzes.

Die Eigelsteintorburg, die „Porta Eigelis“, wie sie im Mittelalter genannt wurde, ist eine der vier noch erhaltenen Torburgen der aus verkehrstechnischen Gründen im 19. Jahrhundert geschleiften mittelalterlichen Kölner Stadtmauer. Heute beherbergt sie eine Jazz-Schule und Räume für Feiern und Veranstaltungen.

Damals aber zog mich die Torburg wegen eines Bootes auf deren Südseite an, das hoch oben im Torbogen hing. Erst durch das Büchlein „111 Kölner Orte …“ erfuhr ich, dass mit diesem Boot eine schreckliche Geschichte verbunden ist, die nichts mit meinen romantischen Kindheitsvorstellungen gemein hat.

Es ist das letzte Überbleibsel des Kreuzers Cöln, der kurz nach Beginn des ersten Weltkrieges, am 28. August 1914 während eines Seegefechts mit der britischen Marine unterging. Nur ein einziger Matrose von insgesamt 507 Besatzungsmitgliedern überlebte den Untergang. Dieses hier ausgestellte Wrack, das einzige übriggebliebene Teil des Kreuzers Cöln, wurde der Stadt Köln von der deutschen Marine als Andenken und zum Gedenken geschenkt.


Das Kölner Rheinufer vom Schokoladenmuseum aus gesehen,

Sitzelemente eines Restaurants,

die Eigelsteintorburg, die Straße "Am Stavenhof"


Von schwachem gelblichen Licht bestrahlt verabschiedet mich die Torburg und ich entscheide mich mit einem ambivalenten Gefühl auf dem Weg zum S-Bahnhof Hansahochhaus die Straße „Am Stavenhof“ zu durchqueren. Eine Straße, die man bis in die 1970`er Jahre entweder im Laufschritt durchquerte oder besser noch, einfach mied. Nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich diese Querverbindung in eine völlig heruntergekommene finstere Straße, die Straßenstrich und Bordells der untersten Kategorie beherbergte. Ganz mutig passierten wir diese als 16-jährige Jungs und kamen uns danach wie die Überlebenden einer gruseligen Mittelalterszene vor. Heute kann diese Straße nur als schön hergerichtetes Kleinod des alten Köln bezeichnet werden: sorgfältig restaurierte alte Bürgerhäuser, die von stilgerechten Laternen mit schwachem gelblichen Licht beschienen werden. Sicherlich ist diese gepflasterte Straße nicht viel heller ausgeleuchtet, als bis in die 1970`er Jahre, aber bei weitem nicht so finster wirkend und keinesfalls mehr furchteinflößend.

 

Mit neuen Eindrücken, Wissen und dem Vorsatz, mich beim nächsten Stadtbummel dem Dom und seiner näheren Umgebung zu widmen, verließ ich Köln.