Lüdinghausen im Münsterland 

 

Das Fällen der Donar-Eiche, Christianisierung des Münsterlandes und Raben, die es im „Westfälische Versailles“ verstehen, zu „leben wie Gott in Frankreich“.

Das Münsterland lockt mit seinen vielen Schlössern und Burgen und es ist nicht übertrieben, wenn „Münsterland e.V. Tourismus“ von der

„100 Schlösser-Route“ spricht. Diese verführerische Route verlockte mich dazu, ein Wochenende im Münsterland zu verbringen.

Nein, nicht um gleich alle hundert Schlösser oder Burgen sehen zu wollen, so wie man hierzulande amerikanischen (und inzwischen auch asiatischen) Touristen unterstellt, „Europa in einer Woche zu machen“. Vier/fünf Schlösser oder Burgen und daneben die Landschaft und kleine Städtchen zu betrachten, füllt ein Wochenende gut aus. Und so mache ich mich auf zur „Drei-Burgen-Stadt“ Lüdinghausen, südwestlich von Münster im Kreis Coesfeld gelegen. Alleine Lüdinghausen bietet mit seinen drei Burgen, den Wasserburgen Lüdinghausen und Vischering sowie der Burg Kakesbeck, der Borgmühle und dem jüdischen Friedhof schon reichlich zusehen für einen Tag. Nicht zu vergessen den „Stelenweg“ am Steverwall, an dem im Jahr 2010 zu Ehren von Kurt Tucholsky Stelen aufgestellt wurden, die einige seiner allgemein gültigen Zitate wiedergeben (so zum Beispiel: „Erfahrungen vererben sich nicht – jeder muss sie alleine machen“ oder „Die menschliche Dummheit ist international“ – hoffen wir mal, dass aus Erfahrungen doch ein Lerneffekt ausgeht und die menschliche Dummheit dadurch abnimmt).

Lüdinghausen wird erstmals um das Jahr 800 erwähnt und zwar im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Grundstücks durch den „Heiligen Liudger“ (geboren um 742 bei Utrecht, gestorben 26. März 809 bei Billerbeck). Liudger – aus friesischem Adel stammend – war Missionar, ließ sich um 799 im Bereich Coesfeld nieder, erwarb systematisch Grundstücke, um ein sogenanntes „Eigenkloster“ zu gründen und wurde schließlich am 30. März 805 zum ersten Bischof der neuen Diözese Münster geweiht. Inspiriert wurde Liudger in sehr jungen Jahren durch den damals bereits sich im Greisenalter befindlichen heiligen Bonifatius – Missionar und Benediktinermönch. Bekannt geworden – nach heutigen Maßstäben könnte sogar von einem gewissen „Starkult“ gesprochen werden – war Bonifatius (geboren um 673 im Südwesten Englands, gestorben 05. Juni 754) zu dieser Zeit bereits durch seine Missionstätigkeit im heutigen Bayern, Sachsen, Thüringen und Hessen sowie durch seine Nähe zu den Karolingern (Karlmann, auch Pippin III.?) und seine Heldentaten. Der Legende nach soll Bonifatius in Geismar (gelegen in Hessen) eine dem germanischen Kriegsgott Thor (Donar) geweihte Eiche gefällt haben und aus deren Holz eine Kapelle habe errichten lassen, die Petrus gewidmet wurde. Dies geschah allerdings unter dem Schutz der bereits christianisierten fränkischen Besatzer. Dieser so erbrachte „Beweis“ der Überlegenheit des Christengottes über die heidnischen Gottheiten und die organisatorische Begabung Bonifatius waren wesentliche Grundlagen für den Aufbau der Kirche im ostfränkischen Reich – und seine Verehrung als „Apostel der Deutschen“.

Ein Rundgang durch das engere Lüdinghausen muss an meinem Anreisetag warten; denn abends ist es noch recht lange hell. Erst einmal schwinge ich mich kurz nach meiner Ankunft aufs Fahrrad, um die drei Lüdinghausener Burgen anzuschauen und einen Blick auf den wenige Kilometer entfernten Donau-Ems-Kanal zu werfen.

die Wasserburg Vischering, das "Wahrzeichen" Lüdinghausens

  

der "Steleweg" in Lüdinghausen (mitgestaltet vom Kulturverein "KAKTUS")

   

aus Tucholkys "Die Weltbühne" (1931)

 

aus Tucholkys "Gebrauchsanweisung" (1930)

 

der Dortmund-Ems-Kanal nahe Lüdinghausen

Trotz Gottvertrauen und Beten: in kriegerischen Zeiten schützt auch einen Fürstbischof vor allem eine wehrhafte Festung und Soldaten. 

Dieser Tatsache haben heute die Stadt und der Tourist das Wahrzeichen Lüdinghausens zu verdanken: die in malerischer Umgebung gelegene Festung „Burg Vischering“. Heute kaum vorstellbar, dass ein hoher Geistlicher Wehrbauten nicht nur benötigte, um sich vor weltlichen Fürsten schützen zu können, sondern auch vor rivalisierenden Fürstbischöfen –  selbst vor „einfachen“Bischöfen. Vergegenwärtigt man jedoch, dass es zuerst eben weltliche Fürsten waren, die sich oder ihren Nachfahren hohe geistliche Ämter sicherten, wird verständlich, dass  Auseinandersetzungen um Macht und Territorien auch nicht vor seelsorgerischen Aufgaben Halt machten. 

So gab es über Jahrhunderte Fehden, an denen der Münsteraner Fürstbischof (nicht ganz unschuldig) beteiligt war und vor allem im 14. und im 15. Jahrhundert sogar heftigste Rivalität zwischen Münster als „geistliches Machtzentrum“ des nordwestdeutschen Raums und dem benachbarten mächtigen Erzbistum Köln herrschte.

Errichtet wurde die Wasserburg Vischering im Jahr 1271 vom damaligen Fürstbischof Gerhard Graf von der Mark (geboren um 1220, gestorben 11. August 1272). Sie war bereits von der Konzeption her als reine Verteidigungsanlage gedacht, deren Gebäude auf separaten Inseln errichtet wurden und nur über eine Zugbrücke zu erreichen waren. Aber auch einer seiner Rivalen, der fast gleichaltrige benachbarte Erzbischof der Erzdiözese Köln, Engelbert II., hatte es nicht einfach mit „seinem“ Volk. So wurde Engelbert von Heinsberg-Valkenburg (geboren um 1220, gestorben 20. Oktober 1274 in Bonn) nach heftigen Auseinandersetzungen mit den Patriziern – der damaligen städtischen Oberschicht – 1268 aus Köln vertrieben und ließ sich in Bonn nieder –langfristig gesehen vorteilhaft für die städtische und kulturelle Entwicklung der Stadt Bonn.

Im Jahr 1521 wurde die gesamte Burg Vischering durcheinen Brand zerstört und sehr bald im Renaissance-Stil wieder aufgebaut, so wie sie sich heute präsentiert. Sie gilt als eine der schönsten Wasserburgen Deutschlands.

 

Nicht nur auf den örtlichen Adel wirkten französische Schlösser und das „savoir vivre“ faszinierend, auch (mancher) Rabe lässt sich vom „Westfälischen Versailles“ inspirieren.

Am nächsten Tag nach dem Frühstück machte ich mich auf, das „Westfälische Versailles“ zu besuchen. Die knapp zehn Kilometer sind mir doch etwas zu wenig und denselben Weg fahre ich trotz anderer Perspektive nicht gerne zurück. So entscheide ich mich für den Rundweg Lüdinghausen – Schloss Nordkirchen – Selm – Termscher See – Füchtener Mühle – Lüdinghausen, alles in allem etwa 45 Kilometer mit wenig mehr als 160 Meter Gesamtanstieg („Burgen-Schlösser-Tour, Rundkurs Lüdinghausen-Nordkirchen“).

Beim Schloss Nordkirchen handelt es sich um das größte Wasserschloss Westfalens (www.schloss-nordkirchen.de/Das_Schloss.html). Das heutige Schloss wurde in der Zeit zwischen 1703 und 1734 errichtet. Der französische Einfluss auf die Gestaltung des Schlosses und die Gartenanlage ist wie bei so vielen deutschen Schlössern des 17. und des 18. Jahrhunderts evident – sowie zum Beispiel auf „Schloss sans soucis“ in Potsdam, aber auch auf das kleine „Schloss Falkenlust“ in Brühl bei Köln. Die Geschichte des Schlosses Nordkirchen ist eher unspektakulär. Nach wechselnden Besitzverhältnissen erwarb der Münsteraner Fürstbischof Friedrich Christian Freiherr von Plettenberg-Lenhausen (geboren 08. August1644, gestorben 06. Mai 1706) 1703 die ursprüngliche Wasserburg und gab deren Um- und Ausbau in eben dieses heute zu bewundernde Wasserschloss in Auftrag. Die Fertigstellung seines Schlosses erlebte er nicht mehr. Letztlich ist diese Anlage auch Ausdruck der Blütezeit, die das Fürstbistum Münster dank der geschickten Regierungspolitik von Friedrich Christian erlebte.

Nicht nur das Schloss und die imposante, wenn auch sehr künstliche Gartenanlage haben mir gefallen, nein, meine Aufmerksamkeit wurde auch auf einen Raben gelenkt, der sich mir näherte als ich begann, Butterkekse zu essen. Er konnte nicht genug Krümel abbekommen und so legte ich einige Bruchstücke für ihn und seine Gesellen auf ein Mäuerchen. Da hatte ich aber die Rechnung ohne ihn gemacht. Geschickt verstand es dieser gefiederte Geselle, seine Artgenossen auf Abstand zu halten, Keksbrocken aufeinander zu stapeln, mit dem Schnabel aufzunehmen und mit dieser Beute an einen sicheren Ort zu fliegen, um wenige Minuten später wieder einen Nachschlag einzufordern. Könnte es sich um die Reinkarnation eines Fürsten gehandelt haben …?

Schloss Nordkirchen, das "Westfälische Versailles"

 

Schloss Nordkirchen, das "Westfälische Versailles"

 

Schloss Nordkirchen, das "Westfälische Versailles"

 

Gourmand-Gourmet-Rabe, Reinkarnation eines Fürsten?

 

Pferdegestüt, Gelände Schloss Nordkirchen

Schloss Nordkirchen und dessen Parkanlage wurden übrigens von der UNESCO als „Gesamtkunstwerk von internationalem Rang“ für schutzwürdig erklärt.