Fahrradtouren am Niederrhein um Kalkar, Kleve und Xanten

Ein Reitergeneral ohne Denkmäler und eine Landschaft

ohne besonderen Reiz.

Prägen diese wirklich Kalkar – am Niederrhein gelegen – und seine Umgebung?

Vor der Abreise zu unserem Domizil nahe Kalkar wurde ich von einem geschichtlich und kulturell sehr gebildeten Freund gebeten, nach Spuren des Friedrich Wilhelm Freiherr von Seydlitz-Kurzbach (geboren 03. Februar 1721 in Kalkar und gestorben 08. November 1773 in Ohlau) zu suchen. Seydlitz war einer der bedeutendsten Reitergenerale Preußens. Jedoch jeder, der Bertha von Suttners Buch „Die Waffen nieder“ (Verlag der Nation, ISBN 3-373-00328-8) gelesen hat, in dem sie – wieder hochaktuell – Denkungsart und manipulatives Vorgehen zur Vorbereitung eines Krieges beschrieben hat ebenso, wie es nach dem „Schlachten“ auf den Schlachtfeldern aussah und zu ging, kann nur Abstand nehmen von der Verherrlichung irgendwelcher „bedeutender“ Protagonisten der „Kriegskunst“. Warum ist er dennoch erwähnenswert? Während der Schlacht von Zorndorf verweigerte Seydlitz mehrmals den Befehl des preußischen Königs, mit seinem Trupp sofort einzugreifen. Seydlitz wartete einen günstigen Augenblick ab und konnte somit eine preußische Niederlage verhindern. Sein eigenständiges Handeln wurde später in die Führungskultur der Deutschen Bundeswehr unter dem Stichwort „Führen mit Auftrag“ übernommen und bedeutet, selbstständiges Prüfen und Handeln zur Durchführung eines Auftrags im Gegensatz zur wortwörtlichen Ausführung eines Befehls.

Nun also zurück nach Kalkar: hier gibt es kein Denkmal für Seydlitz – und das finde ich gut so!

Die Umgebung Kalkars ist geprägt durch flache, weite landwirtschaftlich-industriell genutzte Flächen. Um 1980/1985, als hier der dann doch niemals in Betrieb genommene „Schnelle Brüter“ gebaut wurde, war diese Topographie bestens geeignet für die damaligen großen Anti-Kernkraft-Demonstrationen – und daran erinnerten sich einige unserer kleinen Radler-Gruppe noch gut und sehr gerne zurück. Für uns – die in die Jahre gekommenen Radler – eine angenehm zu befahrene Landschaft, wenn, nun ja, wenn es nicht stets diesem Gegenwind zu trotzen galt. Dennoch, auch diese Strapaze war es Wert, auf sich genommen zu werden. So konnten wir doch Kalkar und Xanten mit seinem Archäologischen Park, der 1977 am Ort der römischen Colonia Ulpia Traiana eröffnet und seitdem stets weiterentwickelt wurde und Heerscharen von Schülerinnen und Schülern gesehen hat, für uns erschließen.


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Kalkar, die malerische Kleinstadt,

der möglicherweise eine Atomkatastrophe größeren Ausmaßes erspart blieb – denn eine der größten Investitionsruinen, der sogenannte Schnelle Brüter, wurde eben aus Sicherheitsbedenken heraus niemals in Betrieb genommen – ist geprägt durch sein mittelalterliches Stadtbild, dem Rathaus, der Kirche St. Nicolai, zwischen der und einer kleinen Häuserzeile eine winzige, leider sehr ungepflegte Gasse verläuft. Natürlich auch durch die eine oder andere Windmühle. Ähnlich, wie die Stadt Richelieu im Département Indre-et-Loire (Frankreich), handelt es sich hier um eine künstlich angelegte Stadt und nicht um eine über Jahrhunderte gewachsene Ansiedlung. Erkennbar ist dies an den rechtwinklig zueinander angelegten Straßen und Gassen. Gegründet wurde Kalkar um 1230 von Graf Dietrich VI. von Kleve und erhielt schon wenige Jahre später die Stadtrechte verliehen. Dies war ja auch das Ziel der Stadtgründung, um eine rasche Besiedelung zu bewirken: denn das sich entwickelnde Bürgertum und Handwerker wussten zu dieser Zeit die Rechte als Bürger einer Stadt, den Freiheitsgrad eines Städters zu schätzen. Hinzu kam die für die Schafzucht idealen landschaftlichen Bedingungen und so wurde Kalkar durch Wolle und Tuchmacherei wirtschaftlich erfolgreich. Wirtschaftliches Wachstum, ein gewisser Reichtum im 15. Jahrhundert ist heute noch erkennbar am Stadtbild um das Rathaus und der Kirche St. Nicolai herum. Die von außen eher unscheinbare katholische Kirche weckt in ihrem Inneren Begeisterung für ihre wunderbar geschnitzten Altäre aus dem 15. und dem 16. Jahrhundert, ihren farbenfrohen neuzeitlichen Kirchenfenstern (um 2000 erneuert), ihrem Chorgestühl und ihrer Orgel.

Der Niedergang Kalkars setzte nach kurzer Blütezeit im 17. Jahrhundert ein, nicht zuletzt durch Kriege und langjährige Besatzungszeiten während des Niederländischen Befreiungskampfes.  Ein weiteres taten Seuchen dazu; denn rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung der Stadt Kalkar fiel alleine im Sommer 1599 der Pest zum Opfer. Als Besitztum Brandenburgs und damit Preußens war Kalkar für den Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg nur von militärischem Interesse. Er beauftragte den Bau einer Zitadelle. Den ihr ursprünglich zugeteilten Zweck erfüllte diese militärische Anlage nie. Allerdings wurden für diese erste größere Investitionsruine Kalkars ein nicht unwesentlicher Teil von Häusern und der Stadtmauer abgerissen – vielleicht deshalb keine Begeisterung dafür, einem preußischen Reitergeneral ein Denkmal zu setzen.

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Nun geht es mal eben beinahe 2000 Jahre zurück und

wir besuchen die Siegfriedstadt Xanten, einstmals die einzige und damit erste römische Siedlung nördlich der Alpen, deren Ursprung in der Errichtung des Legionslagers Vetera zu finden ist – und immer wieder treffen wir auf Krieger und Krieg. Ein Dilemma der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, das vielleicht doch einmal nach der Theorie von Thomas Buckle (englischer Kulturhistoriker, 1821-1862, „History of civilization“) mit steigender Entwicklung und Intelligenz des Homo Sapiens überwunden werden kann. Nun, immerhin herrscht wohl Einigkeit in der Auffassung darin, dass uns die kriegerischen Römer wenigsten einen enormen kulturellen und rechtlichen Fortschritt gebracht haben. Wäre dies auch ohne römische Expansion und Unterwerfung möglich gewesen? Müßig, darüber nachzudenken. Auf jeden Fall ist es bewundernswert, was Rom (auf der Grundlage und in Weiterentwicklung griechischer Kultur) an Kunst, Rechtsprechung, Philosophie und Bauwerken/Ingenieurleistungen hervorgebracht hat. So bietet Xanten heute neben verschiedenen historischen Gebäuden im Stadtkern, einem weitläufigen Freizeitzentrum im Bereich der Xantener Südsee und Nordsee den Archäologischen Park. Hier sind die frühesten Spuren der Besiedlung (Eisenzeit) nachweisbar, aber auch die Rekonstruktionen eines römischen Amphitheaters, des Hafentempels und der Befestigungsmauer sowie die Grabungsstelle des „Tempel der Matronen“ (aus dem Lateinischen Matrona – Familienmutter – vornehme Dame). Die „Römerzeit“ begann hier um etwa 12 vor unserer Zeitrechnung und dauerte bis etwa in die 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts.    

Als wir uns per Fahrrad dem Archäologischen Park näherten, wurden wir auf einen „Siegfried Triathlon“ aufmerksam. Der uns aus der Nibelungensage bekannte „Siegfried, der Drachentöter“ oder auch „Siegurd“ stammt aus Xanten und so widmet Xanten eines der schönsten Mittelalterfeste seinem berühmten Sohn „Siegfried“, der so wie ihn die Sage beschreibt niemals existierte; denn in der Sage werden wohl verschiedene „Helden“ in seiner Person vereinigt.

Dieses Spektakel war schon vorbei, als wir unsere Tour unternahmen, aber auch ohne dieses Event ein anregendes und spannendes Erlebnis.


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u.a. Fotos eines Teilstückes der 1989 stillgelegten Eisenbahnstrecke Xanten-Kleve

Radwege führen überall hin, Eisenbahnstrecken nicht mehr.

Für uns ist letzteres überhaupt kein Problem, sind wir doch mit dem Radl unterwegs und damit unabhängig von Ort und Zeit. Allerdings nicht von „Wind und Wetter“. Gegen die Sonne konnten wir uns schützen, zumal es genügend Rastmöglichkeiten gab, um „nachzutanken“ – und gegen den Wind half es einigen von uns, mehr Akkuleistung von ihren Pedelecs abzurufen … und ich von meiner Muskulatur. Letztlich wird jedoch für mich ein Pedelec in nicht allzu ferner Zukunft eine Alternative sein; denn am zweiten Tag gab es Gegenwind zu Genüge.

So führte uns unsere zweite Route an Kalkar vorbei nach Wissel, einem von uns Unwissenden völlig ignorierten Ort. Von dort weiter entlang des gegenüber von Emmerich gelegenen Rheinufers mit Blick auf seine malerische, am linken Rheinufer gelegene Altstadt bis nach Kleve, wo wir nahe der historischen Gartenanlage Rast einlegten.

Diese Gartenanlage wurde nicht wie so viele im 17. Jahrhundert nach den Vorbildern des französischen „Sonnenkönigs“ (Ludwig XIV von Frankreich, geboren 05. September 1638, gestorben 01. September 1715 in Versailles) angelegt. Im Gegenteil, diese Anlage inspirierte von Berlin bis Versailles ihrerseits Gartenbaumeister resp. ihre auftraggebenden Fürsten. Hier war es der brandenburgische Statthalter Johann Moritz von Nassau-Siegen (geboren 17. Juni 1604, gestorben 20. Dezember 1679) der Jakob van Campen (Niederländer, geboren 02. Februar 1596, gestorben 13. Dezember 1657) beauftragte, nahe dem Stadtzentrum unwirtliches Umland zu einer Gartenanlage umzugestalten. Eines der bedeutendsten Werke des Architekten van Campen ist das Rathaus von Amsterdam.

Auf dem Weg zur Engelsburg passierten wir die Kirche St. Maria Himmelfahrt. Hier befindet sich ein Kriegsdenkmal der Art, die mir gefällt: nicht ein Denkmal eines „Helden“ oder eines „bedeutenden Reitergenerals“, auch nicht eine sogenannte „Siegessäule“. Nein, hier handelt es sich um die Darstellung eines Opfers kriegerischer Auseinandersetzungen, eines einfachen Soldaten – denn auch Soldaten sind durchaus Opfer (wenn es auch unter diesen Täter gibt, wie eben in allen Teilen einer Gesellschaft / "Der tote Krieger" ist eine Skulptur des Bildhauers Ewald Mataré in Gedenken an die Opfer des 1. Weltkrieges). Direkt gegenüber der „Narrenbrunnen“  im Zentrum des Versammlungsplatzes der „Geselscap van den gecken“ – die Karnevalstradition Kleves schaut auf eine über 600-jährige Geschichte zurück.

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Wissel, nur eine feuchte Niederung mit ein paar Büschen …

oder doch etwas mehr? Urkundlich erstmals erwähnt wird der heutige Ortsteil Kalkars um 1070. Für uns war Wissel erstmal nur ein Knotenpunkt für Fahrradreisende. Unser erster Gedanke war: „Danke dir N.N., dass wir diese Strapaze auf uns genommen haben, um diese Öde sehen zu können.“. Doch bei genauerem Blick in die Chronik dieses Dorfes lohnt es sich, hier mehr als nur für das Studium des Wegeplanes zu verweilen. So geht es uns immer wieder am Niederrhein. Das Interessante und Schöne präsentiert sich häufig nicht auf dem Silbertablet – und so lädt die Region zu weiteren Kurzurlauben ein; denn ein nur zweitägiger Aufenthalt ist auf jeden Fall zu wenig. In Wissel selbst fällt erst einmal ein wuchtiger Kirchenbau mit zwei Türmen auf: die ehemalige Stiftskirche und heutige katholische Pfarrkirche St. Clemens, eine um 1150 erbaute dreischiffige Gewölbebasilika. Hat sie von außen das Flair von im Süden Frankreichs bekannten „Wehrkirchen“, fasziniert sie in ihrem Inneren nicht nur durch ein romanisches Taufbecken und ihrer von Wilhelm Rütter 1876 erbauten Orgel – von Kennern ob ihres außergewöhnlich schönen Klangs gelobt. Des Weiteren sind in Wissel das „Haus Kemnade“, eine Wasserburg aus dem Jahre 1550, das Naturschutzgebiet „Wisseler Dünen“ und die in ein Jugendgästehaus umgewidmete Windmühle („Huismanns Mölle“) „Mühle Wissel e.V.“ Abstecher wert.

Auch hier war die Tuchindustrie ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor und nach ihrem Niedergang der Tabakanbau und dessen Verarbeitung. Zwei wesentliche Faktoren sprachen für den Anbau von Tabak: einmal der lockere lehmig-sandige Boden und ganz wesentlich die Vermeidung von Zöllen. Letzteres zogen im 18. Jahrhundert die dominierenden niederländischen Tabakfabrikanten an, die hier auf preußischem Gebiet Filialen errichteten und neben der Vermeidung hoher Einfuhrzölle auch von der Arbeitskraft arbeitslos gewordener Tucharbeiter profitierten. Nach Ende des zweiten Weltkrieges konnte die einheimische Tabakindustrie jedoch nicht mehr mit den nun wesentlich billigeren Weltmarktprodukten konkurrieren. So gab im Jahre 1960 der letzte Tabakbauer Wissels auf – ein Ende wäre mit gesteigertem Gesundheitsbewusstsein ohnehin gekommen.  


 

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Emmerich am Rhein, die ehemalige Hansestadt

haben wir nur tangiert - leider. Gereizt hat es mich, von der „Schälsick“ auf das rechte Rheinufer nach Emmerich zu wechseln. Doch in einer Gruppe unterwegs, sind eben Teamfähigkeit und Disziplin ihre Tribute zu zollen. Und teamkonform war es eben nicht, bei Gegenwind und Autobahnlärm über die von weitem schön anzusehende, filigran wirkende Brücke – die längste Hängebrücke Deutschlands – hin und wieder zurück zu radeln. So sahen wir die reizvolle Stadtansicht nur vom rechten Rheinufer aus. Auch hier gilt wieder das Wort des „praktischen Dorf-Philosophen für Alltagsfragen“ von der deutschen „Weinstraße“, nachdem derjenige es guthat, der sich nicht direkt in einem schönen Ort befindet, weil man diesen eben nur von außen ansehen kann und aus dessen Innerem der Blick meist auf weniger Schönes trifft.

Emmerich ist Mitglied der Euroregion Rhein-Waal und der „Rheinischen Hanse“ (gebildet aus Neuss, Wesel, Kalkar und Emmerich am Rhein: www.rheinischehanse.de). Emmerich – erstmals amtlich erwähnt im Jahre 828 – blickt auf eine etwa 1400-jährige Geschichte zurück. Gegründet um 700 als Missionsstation erlebte Emmerich den Normannensturm im 9. Jahrhundert und erhielt am 31. Mai 1233 die Stadtrechte verliehen. Wirtschaftlich erfolgreich wurde die Stadt durch Handel und Handwerk, insbesondere durch Brauerei und Wollweberei. Ihre Blütezeit dauerte von etwa 1300 bis 1672 und brachte der Stadt wegen ihrer weltlichen und kirchlichen Bauten den Namenszusatz „decora“ („prächtiges Emmerich“) ein. Der Niedergang setzte um 1672 mit Besetzung durch die französischen Truppen Ludwigs XIV. Nach diesen Kriegswirren folgten Überschwemmungen und Seuchen und dann die Verwüstungen während der Unabhängigkeitskriege der Niederlande gegenüber Spanien, des siebenjährigen Krieges und der napoleonischen Kriege.

Besser ging es Emmerich dann wieder mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt, der Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Oberhausen-Arnheim am 20. Oktober 1856 und dem Bau eines preußischen „Sicherheitshafens“.