Memories of Würzburg

 

„Würzburg – Provinz auf Weltniveau“ war als offizieller Slogan sehr umstritten – obwohl, er trifft ja zu. „Würzburg macht Spaß“:

Dieser Slogan ist genauso richtig. Würzburg ist eben eine interessante, schöne und geschichtsträchtige Stadt in der deutschen Provinz. Und so machte es mir erneut Spaß, mich mit meinen Freunden aus meiner fränkischen Zeit in Würzburg zu treffen. Es gibt auch dort immer wieder Neues zu entdecken.

Ebenso Altbekanntes wieder zu sehen, wird hier nicht langweilig. So verweilte ich eine Zeitlang nach meiner Ankunft auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs, um meinen Blick über den Weinberg „Pfaffenberg“ schweifen zu lassen. In dem Moment, in dem ich dies niederschreibe, vergegenwärtige ich, dass deutschlandweit eine Unmenge von Anhöhen „Pfaffenberg“ genannt werden. Ursprünglich ein ehrender Begriff, wandelte sich das Wort „Pfaffe“ (abgeleitet von „Pastor fidelis animarum fidelium“) seit der Reformation zu einem abwertenden Begriff. Nun, hier vor Ort mache ich mir keine Gedanken über die Definition des Wortes und betrachte den „Pfaffenberg“ nostalgisch. Nicht nur anschauen, sondern diesen auch erklimmen, stand noch für den Tag unserer Ankunft an. Die Weinlese war noch nicht vollends abgeschlossen und so konnten wir mit einem der Weinbauern darüber philosophieren, dass es nicht nur „Pfaffen“ oder Mönche verstanden und verstehen, ganz hervorragende „geistige“ Getränke zu erzeugen – also wurde uns eine Weinprobe am Pfaffenberg angeraten und gegen Abend auf der „Alten Mainbrücke“. Dort findet sich jeden Abend eine bunte Schar ein. Ob es after work-affine Würzburger, Studenten, Touristen oder Bohemiens sind, alle eint die Freude an ein lockeres Zusammensein, den regionalen Wein, den Blick auf die Festung Marienberg oder auf den Main. So geht es dort auch bei größerem Andrang gelassen und locker zu, trotz der Nähe zum Trubel der benachbarten pulsierenden City. Und als es kälter wurde, zogen wir in das Restaurant „Alte Mainmühle“ um, wo wir uns an der fränkischen Küche stärkten … für den nächsten Tag.

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Neues zu entdecken, macht Spaß in Würzburg,

umso mehr, wenn es planvoll geführt ist – so meine neuere Erkenntnis. Also trafen wir uns am „Alten Kranen“, einen am Rande der City am Mainufer befindlichen barocken Hafenkran aus dem Jahre 1773. Er gleicht anderen, viel früher in Betrieb genommenen Kranen am Rhein oder an der Mosel. Die rasante industrielle Entwicklung im 19. Jahrhundert erforderte bereits 1846 einen leistungsstärkeren modernen Kran. Der alte Kran blieb jedoch erhalten und überstand die Bombenangriffe Ende des zweiten Weltkrieges unbeschadet, obwohl Würzburg zu gut 80 % zerstört wurde. Das traurige Ergebnis dieser Bombardierungen kann im Rathaus besichtigt werden. Eine Plastik zeigt dort den zerstörten Stadtkern. Zurück zum „Alte Kranen“: dieser war schon zum Zeitpunkt seiner Errichtung eine „Sehenswürdigkeit, wie kaum etwas vorzüglicher am Main und Rhein zu schauen, ein Werk, das an Schönheit, Festigkeit, Größe und Majestät wenig seines gleichen habe.“ So das Zitat, das noch heute seine Gültigkeit hat. Von hier aus begleitete uns die Stadtführerin unter anderem zum „Frankoniabrunnen“ (vor der Residenz gelegen), der drei Künstler zeigt, deren Leben und Wirken eng mit Würzburg verbunden war: Walther von der Vogelweide, Tilmann Riemenschneider und Matthias Grünewald. Letzterer, der eigentlich Mathis Gothardt-Nithardt hieß (ein für das Eigen-Marketing sicher auch damals nicht geeigneter Name) war ein bedeutender Renaissance-Maler und -Grafiker. Seine Werke sind unter anderen der „Lindenhardter Altar“ in Creußen (nahe Bayreuth), der „Mariaschneealtar“ der Stiftskirche Aschaffenburg und die „Aschaffenburger Beweinung“. Im allgemeinen Gedächtnis besser behaftet sind die Namen der beiden erstgenannten Berühmtheiten des Frankoniabrunnens. Neben seinem Wirken als Bildhauer und Bildschnitzer gelangte Tilmann Riemenschneider in Würzburg in höhere öffentliche Ämter und somit in gesellschaftliches Ansehen. Während der Wirren des Bauernkrieges geriet er jedoch in Ungnade, wurde in der Festung Marienberg eingekerkert, gefoltert und schließlich unter dem Verlust seiner Ämter entlassen. Da er als Künstler vorwiegend für den Klerus und das gehobene Bürgertum arbeitete, verlor er danach seine wesentliche Kundschaft und geriet schnell in Vergessenheit. Der Dritte im Frankonia-Bunde, Walther von der Vogelweide, fand nach langen Jahren des Herumwanderns in Würzburg eine feste Heimat. Vogelweides innigster Wunsch war die Sesshaftigkeit. Diesen erfüllte um 1220 Kaiser Friedrich II. mit einem Lehen bei Würzburg als Dank dafür, dass er als politischer Dichter strikt gegen die Unterstellung des Kaisers unter das Papsttum polemisierte. Auch vertrat Vogelweide wortgewaltig die Haltung, dass für das Wohlergehen der Christenheit König und Ritter herausragende rechtliche und militärische Aufgaben wahrnehmen, dank derer sie nicht dem Klerus zu unterstellen seien. Modern interpretiert, plädierte er also für die Trennung von Staat und Kirche auf der Basis gemeinsamer Werte.

 

 

 

 

 

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„Bandes dessinées“ des Mittelalters -   

der Begriff „Comic“ wäre fehl am Platz – findet das geübte Auge an allen Kirchenbauten des Mittelalters. Mein Auge war nicht so geübt. Es war eine Bereicherung, dass uns unser Guide vor der Marienkapelle auf das Relief über einem Nebeneingang aufmerksam machte und seine Bedeutung erklärte. Was hatte ich darin gesehen? Eine Frau, die ein Buch liest und ein weiteres Buch, das auf einer Ablage liegt. Gut – sie liest halt gerne. Dann aber sah ich auch einen alten bärtigen Mann über ihr und irgendetwas, das von seinem Mund in Richtung ihres Ohres führt. Das ist spätestens nun doch für mich erklärungsbedürftig. Was für den nicht des Lesens kundigen Gläubigen des Mittelalters sicher ebenso zutraf? Weil damals Lesen und Schreiben nur einer sehr geringen Zahl von Menschen vorbehalten war, musste zur Bildersprache gegriffen werden. Die Auflösung – Sie wissen oder ahnen es schon – ist folgende: Das Relief stellt die Verkündungsszene dar. Das Buch auf dem Pult ist das weg gelegte, nicht mehr gültige alte Testament. Das Buch in der Hand der Frau (= Maria) das nunmehr gültige neue Testament. Und mittels des Hörrohrs wird Maria ihre Empfängnis verkündet. Zur Unterstreichung dessen wird dem Betrachter das Hörrohr auch als Rutsche dargestellt, auf der ein Wesen in die Welt heruntergleitet: Jesus.

Unser nächstes Ziel war die Residenz mit ihrem berühmten Weinkeller. Auch hier eine Darstellung, die in ein „Bandes dessinées“ passen könnte. Jemand wird verdroschen. Warum nur? Das Bild stellt einen Weinhändler dar, der an ein Weinfass geklopft hatte, was strengstens untersagt war. Warum war das verboten? Durch das Klopfen an einem Gefäß kann festgestellt werden, ob dieses gut oder weniger gut gefüllt ist. Stellte nun der Weinhändler fest, dass der Ton dumpf war, das Fass also noch voller Wein, konnte er den Preis drücken. So war jede Partei bestrebt, Verhandlungsvorteile zu sichern oder zu erlangen – keine neue Erfindung. Denn Ziel des Weinbauern war es ja, möglichst schnell Wein zu verkaufen, weil er von Natur aus nicht allzu lange hält. Auch musste innerhalb eines Jahres wieder genügend Raum geschaffen werden für den neuen Wein. Dies gilt auch heute noch. Und so lernte ich von dem marketingmäßig äußerst gewieften Guide des staatlichen Weinkellers – übrigens einer der schönsten Weinkeller weltweit und im UNESCO Weltkulturerbe verzeichnet – drei wesentliche Punkte. Erstens, man muss viel Wein trinken, damit man zum Weinkenner wird und guten von nicht so gutem Wein unterscheiden lernt. Zweitens, man muss den erworbenen Wein schnell konsumieren, denn er hält nicht lange. Und zum Dritten, damit niemand aus Sorge um sein Budget auf Weinkonsum verzichtet, dass Wein nicht extrem teuer sein muss. In der Produktion käme keine einzige Weinsorte über die Kosten von 10, -- Euro pro Liter hinaus. Alles, was weit über die Herstellungskosten plus einen angemessenen Gewinn hinausgehen würde, sei mit dem Namen und damit dem Marketing verbunden, nicht jedoch der eigentlichen Qualität geschuldet. Ob es der Gesundheit zuträglich sei, über hohen Konsum zum Weinkenner zu mutieren, wurde dagegen nicht glaubhaft übermittelt. Sei es drum, den Hofkeller und die hierin aufgereihten, teilweise individuell verzierten Weinfässer zu bestaunen, war ein Erlebnis. Im staatlichen Hofkeller Würzburg ist zwar nicht das größte Weinfass der Welt zu sehen. Dies befindet sich bekanntlich im Heidelberger Schloss. Nein, hier sind sicherlich die schönsten Exemplare zu bewundern.

Alles in allem, eine Reise nach Würzburg lohnt immer.