| Memories of Odenwald (Neckar)
Memories of Wanderungen im Odenwald. Gerne erinnere ich die Wanderungen in der Umgebung von Hirschhorn, Eberbach und Neckarsteinach, zum Beispiel, wenn ich des Abends meine müden Beine etwas hochlege. Wer hat nicht von Marcel Proust`s epochalem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gehört. Hierin beschreibt er – bevor die Wissenschaft den Beweis erbrachte – den Zusammenhang zwischen intensiver sinnlicher Wahrnehmung und dauerhafter Erinnerung. Intensiv erfuhr ich, dass jede der drei Wanderungen mit der Bewältigung von ungefähr 300 Höhenmetern verbunden war – und zwar stets an einem Stück. Die Ehre der für die Wegführung verantwortlichen Wandervereine gebietet es wohl, nicht den einfachen, auf einer Höhenlinie verbleibenden Pfad auszuweisen, sondern die Strecke stets über den höchsten Punkt zu führen. Und wir hielten uns natürlich daran, selbst wenn der einfachere Weg, weil zumeist am Waldrand verlaufend, bessere Ausblicke in die Landschaft versprach. Denn auch wir hatten eine Wandererehre: kein Jota vom Schwierigkeitsgrad abweichen.
Mühsam ist der Weg zu den Sternen. Den zeitlosen Wahrheitsgehalt dieser philosophischen Erkenntnis Seneca`s erfuhren wir auf dem Weg von unserer Unterkunft zum Schloss Hirschhorn und von dort auf dem Weg nach Eberbach. Der Odenwald zeichnet sich zwar nicht durch besondere Höhen aus, aber es geht dann stets bergauf ohne auf einer Höhenlinie verbleibende entspannende Abschnitte (oder eben bergab, was bekanntlich noch mühsamer sein kann). Der erste Abschnitt führte uns also nicht zu den Sternen – weder zu Sternen des Himmels, noch zu kulinarischen – sondern über den alten, in abenteuerlichem Zustand befindlichen „Schäferweg“ zum Schloss Hirschhorn (oder auch Burg Hirschhorn genannt). Hier untergebracht ist ein recht angenehmes Hotel mit einem guten, nicht überkandidelten Restaurant und schönem Blick über den Neckar und das Städtchen Hirschhorn hinweg. Schloss oder Burg Hirschhorn wurde wie so viele mittelalterliche Anlagen in der Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut. Von 1260 bis 1632 befand sich die Burg im Besitz der „Herren von Hirschhorn“, den Gründern der Stadt Hirschhorn. Bis es jedoch so weit war mit der Stadtgründung und dem Erwerb von Rechten, verwickelten sich die zukünftigen „Herren“ in Fehden, fielen in „Reichsacht“ und wurden wieder „achtbar“. Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Burg im Stil der Renaissance umgestaltet und erweitert. So ist die Schlossanlage auch heute noch weitgehend erhalten. Bald darauf, während der Kriegswirren des Dreißigjährigen Krieges, starb im Jahre 1632 der letzte der „Herren von Hirschhorn“ und deren Besitz ging an Kurmainz über. Später, 1803, wurde Hirschhorn Teil des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Von 1632 bis 1918 befand sich hier der Kurmainzer Amtssitz bzw. Ämter des Großherzogtums. Auch heute noch ist hier in der Burgkapelle eine Außenstelle des Hirschhorner Standesamtes untergebracht – für Hochzeiten mit romantischem Flair. Wir genossen eine Zeitlang den schönen Blick über die dem Schlossberg zu Füßen liegende Flusslandschaft und ahnten noch nicht, was uns auf dem weiteren Weg abverlangt wurde. Hätten wir dies geahnt und wäre die Terrasse des Restaurants zu dieser recht frühen Tageszeit bewirtschaftet gewesen, wir hätten uns möglicherweise die Mühe erspart – und viel Schönes und Interessantes versäumt. Und so wanderten wir durch Hirschhorn selbst, wie auch zu den benachbarten Städtchen, zum Beispiel Eberbach und Neckarsteinach – allesamt sehenswerte Kleinode und für den eiligeren Reisenden über eine bequeme Regionalbahnlinie zu erreichen.
Mit allen Sinnen wandernd, die frische Waldluft riechend, mit leicht beschuhten Füßen mal weichen, mal festeren Untergrund ertastend, schöne alte Bäume und die eine oder andere Lücke mit freier Sicht in die Landschaft sehend, das Rauschen der Blätter, Stimmen von Vögeln und Mitwanderern (zum Beispiel: „… wie lange geht das denn noch bergauf …“) hörend, erreichten wir Eberbach. Auch hier treffen wir auf eine ähnliche Geschichte, wie die der Stadt Hirschhorn. Gegründet von den „Herren von Eberbach“, deren Adelsgeschlecht bereits 1196 urkundlich erwähnt wird. Während der in Heidelberg grassierenden Pest wurde die dortige Universität zwischen 1528 und 1555 nach Eberbach verlegt. Vorher Verpfändungen der Burg und Besitztümer der „Herren“ an verschiedene Pfandherren, später Kriegswirren und von 1803 bis 1806 Eigentum des Fürstentums Leiningen und ab 1806 Zugehörigkeit zu Baden. Mit Beginn der Industrialisierung siedelten sich hier Hammerwerke sowie Drahtwaren- und Maschinenfabriken an. Dieser industriellen und handwerklichen Bedeutung des Städtchens ist entlang des Neckars der Skulpturenpark gewidmet. Die Spuren der Wanderung in unseren Beinen verflogen rasch, als wir diese Anlage erreichten. Viele der lebensgroßen, detailreichen Skulpturen erzählen uns von aktuellen und längst vergessenen Berufen. Vergessen sind heutzutage der „Reifschneider“, die „Rindenklopferin“ und die „Treidler“. Unter Reifschneider und Rindenklopferin konnte ich mir nun gar nichts vorstellen – die heute häufig noch vorhandenen Treidelpfade entlang von Wasserstraßen dagegen halten den Beruf des Treidlers eher im allgemeinen Gedächtnis. Dem Weinliebhaber sagt der Beruf des Reifschneiders vielleicht aber doch noch etwas: dieser stellte aus Haselnusssträuchern oder Birken- und Lindenholz die für das Weinfass unverzichtbaren Fassreifen her. Erst später wurden diese Reifen durch Eisenreifen ersetzt. Wurden also in Heidelberg Unmengen an Fässer – ob große oder kleinere – gebraucht (DNW Nr. 18 vom 24.10.2017, Seite 12 – Memories of Heidelberg), so wurden solche hier in Eberbach gefertigt. Einen Besuch wert ist deshalb auch das hier angesiedelte Küfereimuseum. Erschreckend nach Verlassen des Skulpturenparks für uns war dann die Konfrontation mit dem Terror und Morden während des „Dritten Reiches“: wir erreichten ein Denkmal am Ort der damaligen Synagoge, die am 19./20. September 1913 eingeweiht und während des Novemberprogroms 1938 niedergebrannt wurde. Etwa 100 Jahre nach der Einweihung und zum Jahrestag der Novemberprogrome wurde dieses Denkmal am 09. November 2013 eingeweiht. Es enthält Texttafeln und Namenslisten der Opfer des Naziterrors. Nun – vergessen werden dürfen diese Gräuel niemals – , das Leben geht weiter und so setzten wir uns ins Zentrum des alten Marktplatzes, umgeben von schöner restaurierter Bebauung zur Stärkung nieder.
Unsere Natur besteht in der Bewegung. Diesem Gedanken des französischen Philosophen Blaire Pascal folgend, ruhten wir nicht lange und machten uns am folgenden Tag auf nach Neckarsteinach. Hierbei, auf dem Weg und in der Vierburgenstadt, wo die Steinach in den Neckar mündet, kam auch unsere Technikerseele voll und ganz auf ihre Kosten. Waren es am Vortag Skulpturen vergangener Berufe, so trafen wir hier auf im Betrieb befindliche museumsreife Technik: eine Gierseilfähre auf halber Strecke, deren Arbeit wir nach der Überfahrt noch eine Zeitlang von einem angenehmen Gartenrestaurant aus betrachten konnten, die Schleusendurchfahrt eines Frachtkahns, der während des Rangierens CO2 in Mengen gefühlt tausender PKWs erzeugte und ein Highlight für uns, ein sogenannter Kabel-Endverzweiger aus den 1940`er Jahren für die Versorgung mit Telefonanschlüssen. Die Historie hier verlief seit „vorgeschichtlicher“ Zeit ähnlich, wie in den anderen kleinen Städtchen: Besiedlung der Gegend bereits vor etwa 6.000 Jahren, Entwicklung zur Stadt ab dem 12. Jahrhundert, Wechsel der Zugehörigkeit, Kriegswirren nicht nur während des Dreißigjährigen Krieges, wie auch Heidelberg betroffen vom Pfälzischen Erbfolgekrieg. Danach profitierte Neckarsteinach (wie auch Preußen) durch Zuwanderung der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, die hier zahlreich eine neue Heimat fanden. Im 18. Jahrhundert fungierte Neckarsteinach während verschiedener Erbfolgekriege als Quartier- und Lazarettstatt. Vielleicht aus dieser Geschichte heraus (die Hintergründe waren nirgends bekannt) wurde eine Tafel mit folgender Inschrift am Rathaus angebracht: „In dankbarer Erinnerung an die einmüthige Erhebung Alldeutschlands und der Wiederherstellung des deutschen Kaiserreiches unter WILHELM I. DEM GROSSEN.“ Nun, nach 1871 errichtete und zum Teil in „Friedensdenkmale“ umgewidmete Siegerdenkmale (zum Beispiel bei Edenkoben, Rheinland-Pfalz) wurden in Deutschland zuhauf errichtet – eine Inschrift, die Wilhelm I. als einen „Grossen“ hervorhebt findet sich sobald nicht wieder. Gegen Abend führte uns der Heimweg am „Ambtshaus“ (dies die sehr alte, nicht die neueste Rechtschreibung) vorbei zum S-Bahn-Bahnhof – für die Strecken zurück nahmen wir jeweils die Deutsche Bahn.
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