Die „Hurtigrute“.

Eine Reise ins Land der Fjorde und der Mitternachtssonne, 1. Tag.

„Der Ruhesstand hat so wenig mit Ruhe zu tun, wie der Verstand mit stehen.“ (nach Hermann Lahm) oder nach Franz Kafka: „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“ Man kann viel über den „Ruhestand“ oder das Alter sinnieren, man kann aber auch das anpacken, wozu man schon immer Lust hatte, nur nicht genügend Zeit. Und so unternahm Klaus D. nach Ende seiner Berufstätigkeit ab Frühjahr 1982 mehrere Fernreisen, um fremde Länder, Leute und Kulturen kennen zu lernen. Eine dieser Reisen führte ihn an die norwegische Küste.  

1. Kapitel von 7 Kapiteln aus den Reiseerinnerungen des Erzählers:

Vor uns: ein Eisbrecher. Um uns herum: Frühlingsstürme. Hinter uns: Erinnerungen an die wohlige Wärme  gemütlichen Haus und das frühlingshafte Erwachen von Flora und Fauna in unserem Garten.

Vor uns: Aber auch eine 12-tägige herrliche Reise mit dem M.S. Midnatsol.

 

Geduld, Geduld –

Auch heutzutage sind Reisen mit Strapazen verbunden.

Lang zog sich die Reise von unserem Zuhause bei Köln über Hamburg bis zum Fährhafen an der Nordspitze Jütlands hin, von wo aus wir nach Bergen übersetzen sollten. Wir kamen nach einigen Tagen Autofahrt kurz vor 16:00 Uhr in Hirsthals an. Etliche Hinweisschilder wiesen uns nun den Weg zum Hafen, und als wir langsam auf den Parkplatz zusteuerten, sahen wir schon den Wagen meiner Schwester und Schwägerin, mit denen wir zusammen die Schiffsreise gebucht hatten. Das war nun eine große Freude: alle waren heil und pünktlich angekommen. Die Stimmung stieg schnell und ließ die Strapazen der Anreise wie im Fluge vergehen. Nicht mehr selbst hinter dem Steuer aufmerksam sitzen zu müssen, dafür aber zwölf vor uns liegende Tage in genüsslicher Passivität und neuen Erlebnissen fröhlich vergnügt entgegen sehen zu können, all` das ließ uns schnell Wind und Kälte, Hunger und Durst vergessen.

Nach etwa einer Stunde legte die „Bolero“ der Fred Ohlsen-Linie an und wir können, nachdem die ankommenden Fahrzeuge und Passagiere die Fähre verlassen haben, unsere Autos dicht an dicht im Schiffsleib abstellen. Die „Bolero“ entpuppte sich als 10.568 BRT großes Schiff, die Innenräume angenehm warm und unsere 4-Bett-Kabine für die Nacht als passabel.

Nachdem wir uns den Tag über nur mit etwas Obst, Tee und Wasser ernährt hatten, lüstete es uns nun doch nach einem ordentlichen Dinner – und als sich der Speisesaal öffnete, da hielt es uns nicht länger zurück, uns mit Freude und Genuss den Köstlichkeiten hinzugeben, die sich vor uns aufgetan hatten. Unsere Seereise nahm also mit einem ausgedehnten Menu und einer angenehmen Atmosphäre in den bequemen Sesseln des Salons und im Familienkreis ihren Anfang, ehe wir müde unsere „Koje“ aufsuchten.

Dann aber holte uns die Wirklichkeit ein – die See war wild und die Nacht war lang … Bleich und wacklig erschienen nicht nur wir an Deck, als unser Schiff am Morgen Stavanger anlief.

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Bergen, Schönheit der Provinz Hordaland, einstige Hansestadt, Heimatstadt Edvard Griegs und Ausgangspunkt der Hurtigruten.

Nach kurzem Aufenthalt ging es von dort weiter nach Bergen, Ausgangspunkt der Schiffe der Hurtigruten. Diese Etappe verlief zu unserer großen Freude bei angenehmen Wetter im ruhigen Wasser zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln, die als Wellenbrecher dienten und nun die See sanft und zahm erschienen ließen.

Gegen Mittag erreichten wir Bergen. Die Einfahrt in den Hafen von Bergen ist unbegreiflich idyllisch! Wir konnten uns nicht sattsehen, als unser Schiff nun unter der hohen Brücke hindurchfährt, die zu einer der vorgelagerten Inseln führt, nach Steuerbord dreht und sodann auf die am Ende des Meeresarmes liegende Stadt zuschwimmt. Die Häuser ziehen sich auf beiden Seiten die Hänge hinauf, alles ist noch tief verschneit, insbesondere die höheren Lagen.

Wir freuen uns dennoch, erstmal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben … und dass dieser Zustand bis zu Beginn unserer eigentlichen Reise noch zehn Stunden andauern wird. Schnell stellen wir unsere Autos und unser Gepäck im Hafengebiet ab und begeben uns auf Entdeckungstour in die alte Hansestadt Bergen. Von der Geschichte Bergens, das sich Mitte des 14. Jahrhunderts der Hanse anschloss und bald zur größten und bedeutungsvollsten Handelsmetropole Skandinaviens wurde, zeugen heute noch einige gut erhaltene und prächtige Gebäude rings um den Hafen und im Hanseviertel Bryggen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts verlor Bergen als Hafenstadt an Bedeutung. Die Stadt wurde unter um 1070 von König Olav Kyrre (genannt „der Ruhige“, gestorben 1093) unter dem Namen „Bjorgvin“ („Wiese zwischen den Bergen“) gegründet und ist heute mit etwa 270.000 Einwohnern zweitgrößte norwegische Stadt. Ab dem 12. Jahrhundert bis ins Spätmittelalter fungierte die Stadt als norwegische Krönungsstadt. Nach Änderung der Machtverhältnisse zwischen Königshaus und Kirche wurde aus politischem Kalkül heraus diese Rolle der etwas älteren Stadt Trondheim (gegründet im Jahre 997) zugewiesen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Bergen übermäßig stark von der Lepra heimgesucht; naheliegend dass ein Arzt aus Bergen, Gerhard Armauer Hansen (geboren 29. Juli1841, gestorben 12. Februar 1912) den Erreger der Lepra, das „mycobacteriumleprae“ identifizierte. Bis in die 1940`er Jahre wurden hier Leprakranke behandelt, nachzuvollziehen im Lepramuseum und Lepra-Archiv Bergen.

Ein weiterer Anziehungspunktist das Bryggen Museum, Teil der Universität Bergen, und die hier ausgestellten archäologischen Fundstücke aus der Zeit des Mittelalters in Westnorwegen, die zur umfangreichsten Sammlung Norwegens zählt. Nach so viel Sehens- und Wissenswertem waren das Dinner des Vorabends und die unruhige Nacht längst vergessen und uns hungerte inzwischen nicht mehr nach Kultur und Geschichte, sondern nach Kulinarischem – und wenn auch nur nach einem Fischbrötchen. Doch dank ortskundigem Rat „entdeckten“ wir direkt an der Uferstraße im 1. Stockwerk eines der alten, malerischen Fachwerkhäuser, direkt neben dem „Hanseatischen Museum“ das „Fiske-Restaurand Enhjorningen“. Es wurde kein einfaches, es wurde ein lukullisches Mahl.

Danach hieß es, schnell zum Hafen und von „unserem“ Schiff Besitz ergreifen – die anfangs lange Wartezeit war plötzlich ganz knapp geworden.

Pünktlich um 23:00 Uhr legt die Midnatsol vom Kai in Bergen ab. Die Stadt bietet zu dieser späten Stunde einen eindrucksvollen Anblick. Nahezu auf allen Seiten ziehen sich die Lichter der Häuser und Straßen die Hänge hoch. Nach und nach verblasst dieses imposante Lichtermeer und schon bald ist stockdunkle Nacht um uns herum. Dies ist nun der richtige Augenblick, die Kabinen aufzusuchen und die erste Nacht auf dem Schiffzu schlafen; ein ruhiger Schlaf, denn nun sind wir „seefest“.