Bei den „wilden Kerlen der Sahara“, den Tuareg –

ein Stimmungs-Reisebericht.


„Der Ruhestand hat so wenig mit Ruhe zu tun, wie der Verstand mit stehen.“ (nach Hermann Lahm) oder nach Franz Kafka: „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“ Man kann viel über den „Ruhestand“ oder das Alter sinnieren, man kann aber auch das anpacken, wozu man schon immer Lust hatte, nur nicht genügend Zeit. Und so unternahm Klaus D. nach Ende seiner Berufstätigkeit ab Frühjahr 1982 mehrere Fernreisen, um fremde Länder, Leute und Kulturen kennen zu lernen. Eine dieser Reisen führte ihn nach Nordafrika, zu den Tuareg. Aus den Reiseerinnerungen des Erzählers:

Seit meinem Afrika-Einsatz als Soldat während des 2. Weltkrieges wollte ich Nordafrika, seine Leute, seine Kultur und seine Landschaften in friedlichen Zeiten kennenlernen. Besonders interessierte mich das Leben der Tuareg, deren Kampf um ihre Rechte und Lebensart als Nomadenvolk und ihre Überlebensstrategien in der menschenfeindlichen Wüste. Nach intensiver Vorbereitungszeit wagte ich im Frühjahr 1990 die Reise in den algerischen Teil des Siedlungsgebietes der Tuareg (Anmerkung der Redaktion: Informationen unten eingerahmt). Ich hatte Glück, denn zu dieser Zeit war es in der von mir bereisten Region friedlich. Nach einem Zwischenstopp in Algier schloss ich mich Mitte März wie geplant der von Tuaregs geführten Reisegruppe an und gemeinsam ging es für etwa zehn Tage in die Wüste, über Tamanrasset/Hoggar, Tassili und Djanet. Und an einigen besonders stimmungsvollen Momenten erinnere ich mich immer wieder gerne.

 

Sonnenaufgang in Assekrem.

Freitag, 16. März 1990, am Morgen. Gegen 05:45 Uhr ist heute „Wecken“, hoch oben in der einfachen Unterkunft auf dem Assekrem-Pass im Hoggargebirge in 2.585 Metern Höhe. Die Morgendämmerung hatte gerade begonnen. Eine halbe Stunde später sind wir schon unterwegs zum Gipfel. Der Weg führt in Serpentinen bergauf. Nach zwanzig Minuten habe ich den Gipfel in einer Höhe von 2.726 Metern erreicht und stehe vor der Eremitage, die einst Charles de Foucauld (Priester und Missionar, geboren am 15. September 1858 in Straßburg, gestorben am 01. Dezember 1916 in Tamanrasset, Algerien) errichtet hatte. Voller Ehrfurcht werfe ich auch einen Blick in das Innere und in die Kapelle, in der bei Sonnenaufgang zwei Patres eine Messe halten werden.

„Das Panorama vor meiner Hütte ist unvorstellbar schön. Ich kann nicht hinsehen auf dieses Meer von Gipfeln und zerklüfteten Felsen … ohne Gott anzubeten.“, hatte Charles de Foucauld einst seinen Freunden nach Paris geschrieben.

Und ich selbst … verspüre ebenfalls einen Hauch dessen, was hier angesprochen wurde. Dann blitzen zwischen einer Gratmulde die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne auf und verwandeln den östlichen Horizont in gleißendes Licht. Doch in entgegengesetzter Richtung bleibt für kurze Zeit noch ein Erlebnis unvergessen: ich kann nun zusehen, wie die Schatten der Gipfel – von der noch tief liegenden Sonne angestrahlt – langsam zu wandern beginnen.

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„Das 5.000 – Sterne-Hotel“.

Freitag, 16. März 1990, am Abend. Sonnenuntergang, weiter östlich. Dazwischen liegen etwa 300 Kilometer. Muhamed, unser Fahrer, hatte uns sicher auf teils haarsträubenden Pisten aus dem Gebirgsmassiv des Hoggar nach Ideles, dem letzten Stützpunkt vor der Wüstendurchquerung nach Djanet, bis in die Gegend eines weiteren Bergmassivs gefahren und uns in einem vegetations- und holzreichen Tal (als „Qued Ti-N-Hidine“ bezeichnet) für die Nacht abgesetzt.

Ich habe meinen Schlafsack am Rande eines kleinen Hügels ausgebreitet und alles für die orientierungslose Dunkelheit zurechtgelegt. Der Koch hatte inzwischen das Essen fertig und aus dem Kessel dampft ein wohlschmeckendes Gericht.

Über uns breitet sich ein funkelnder Sternenhimmel aus, der keine trüben Gedanken aufkommen lässt. Unser Lagerfeuer wird immer wieder neu beschickt und manch lustige Geschichte macht die Runde. Es wird gescherzt und gelacht, hier und da nur versunken in die Flammen geschaut oder rücklings liegend stumm und ergriffen der Sternen himmelbetrachtet: eine Faszination sondergleichen!

Ich liege an diesem Abend noch lange wach, zähle Sternschnuppen und verfolge den Weg von Satelliten, die ihre „Leuchtspur“ kerzengrade in den Himmel zeichnen und ich bin zufrieden, dass sich der Mond erst später dazugesellt und diese Pracht nicht zu früh auslöschen kann.

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„Bienvenueau Sefar“ –

rhythmische Klänge im „Felsenmeer“.

Montag, 19. März 1990, am Abend. Drei Tage später erlebe ich eine Nacht, die ebenfalls unvergessen bleibt. Wir waren von Djanet aus auf das Hochplateau Tassili N`Ajjer aufgestiegen und in Sefar, einem Labyrinth von bizarren Felsungetümen gleichwie auch der Ausgangspunkt für Wanderungen zu den historischen Felsmalereien mit dem auf einem Felsen aufgetragenen Willkommensgruß „Bienvenue au Sefar“ empfangen worden. Diese Beschriftung muss irgendein Zeitgenosse den ihm nachfolgenden Ankömmlingen hinterlassen haben.

Ich hatte mir nach einem schönen, aber auch anstrengenden Tag einen idealen Schlafplatz ausgesucht, während der Koch seine „Küche“ unter einem der überhängenden Felsen aufgebaut hatte – gleichfalls auch der Ort, an dem wir uns nicht nur zu den Mahlzeiten versammelten, sondern auch einen Abend erlebten, wie diesen:

Wieder brennt ein idyllisches Lagerfeuer und beleuchtet die Szene mit flackerndem Schein. Um uns herum ist es inzwischen stockdunkel geworden. Die bizarren Felsen haben sich in konturlose graue Wände verwandelt – und nur noch durch die dazwischen verbleibenden schmalen Ausschnitte funkeln die unzählbaren Sterne. Und schon erfüllen rhythmische Klänge die Nacht. Unsere Tuareg-Begleiter sind jetzt voll in ihrem Element. Ein flacher Stein dient als Sitz, ein leerer Wasserkanister als Trommel. Noch ein Kanister wandert in die Runde und schon sind es deren drei, die fortan den Ton angeben und die Felsentäler Sefars vom Gesang und dem Klang der Trommeln widerhallen lassen. Da bleibt jetzt auch von uns keiner verschont: ein ungeheures Gefühl des Zusammengehörens hat alle ergriffen, gleich wie auch ein „Auf-einander-angewiesen-sein“ in dieser wilden Natur jeden befällt, unabhängig davon, welche Sprache er spricht – denn ich reiste in einer internationalen Reisegruppe – noch an welchen Gott er glaubt. Hier sind wir alle eine Familie!

 

Auf dieser Reise entwickelten sich zwischen mir und Mitreisenden sowie einem der Tuareg-Betreuer rege Austausche, denen noch lange Zeit interessante Briefwechsel folgten. Abgerundet hat diese Reise in eine andere Welt meine persönliche Erfahrung, auch im höheren Alter schwierige Hindernisse überwinden und ein karges Leben fernab der täglichen Bequemlichkeiten – wenn dies auch nur kurze Zeit nötig war – führen zu können.