Ein radelnder Reporter auf geschichtlichen Spuren

 

Zürich in der Vorweihnachtszeit:  

Ein Swarovski-Weihnachtsbaum, ein Teesalon und Sommerfrische im Winter  

Zürich erreiche ich an einem sonnigen Vormittag in der Vorweihnachtszeit.

Eine klare, wolkenlose Wetterlage erlaubte einen freien und weiten Blick über die malerische Lage der bevölkerungsmäßig größten Stadt der Schweiz. Bereits während des Anflugs ereilt mich eine Lust, unter den letzten wärmenden Sonnenstrahlen des beginnenden Winters eine kleine Schiffsrundfahrt auf dem Zürichsee zu unternehmen. Also bringe ich schnell mein Gepäck ins Hotel und fahre mit dem Bus in die City. Auf dem Weg zu den Schiffsanlegestellen kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, mich nicht nur in der größten Stadt sondern auch in der reichsten Stadt der Schweiz zu befinden. Luxusgeschäft neben Luxusgeschäft. Allerdings – das muss ich gestehen – viele der weihnachtlich dekorierten Schaufenster zeugen von Phantasie und laden mich zum Verweilen ein, obwohl manche Uhr und mancher Klunker locker mein Jahreseinkommen überschreitet. Nicht so, die schön funkelnden Artefakte von Swarovski, die meine Aufmerksamkeit gegen Abend auf dem Weihnachtsmarkt im Hauptbahnhof auf sich zieht. Gab es vor dreißig Jahren noch eine überschaubare Anzahl von Tiermotiven – die immer wieder meine Großmutter erfreuten … und mich, weil es bekanntlicher Weise sehr schwer ist, jemandem etwas zu schenken, der alles Notwendige besitzt – also zum Beispiel die das Sonnenlicht in alle Farben zerlegenden und regenbogenfarben funkelnden Spatzen, Libellen, Häschen und Schildkröten, so ist es hier eine penible, kaum lösbare Aufgabe, am Swarowski-Weihnachtsbaum (Foto unten) Wiederholungen zu finden (Anmerkung: auch auf einem Berliner Weihnachtsmarkt befindet sich dieses Jahr ein Swarovski-Weihnachtsbaum dieses Ausmaßes).   

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  • 5_Zürich zur Weihnachtszeit

 

Die Wintersonne täuscht und so verlässt der eine oder andere zum Eismann mutierte Passagier staksischen Schritts das Schiff – auch ich.

Auf dem Rundfahrtschiff eingecheckt gibt es zwei Möglichkeiten: die eine ist, sich in den etwas stickigen Innenraum zu begeben und sich bei einem Imbiss und Getränken mit einer eingeschränkten Sicht auf die Umgebung des Zürichsees zu begnügen. Die zweite ist – und die wähle ich – mich eingehüllt in einen zweimal um den Hals geworfenen Schal und einen dicken Mantel auf Deck in die Sonne zu setzen und einen ungetrübten Blick auf die kleinen, malerischen Ortschaften mit zum Teil beinahe überdimensionierten Uhrtürmen und die in der Ferne weiß strahlenden Alpen zu genießen. Und so wird mein erster Eindruck, den ich im Landeanflug gewonnen habe, noch positiv verstärkt. Allerdings, nachdem sich die Sonne hinter nahe gelegenen Hügeln verkrochen hat, ist es aus mit der Sommerfrische im Winter. „Was soll`s“, denke ich „die letzte halbe Stunde werde ich schon nicht einfrieren!“, fühle ich mich doch gut gewärmt. Die Ernüchterung ereilt mich beim Aufstehen – und so stakse ich mit beinahe unbeholfenem Gang in Richtung Altstadt. In welcher Stadt ich mich jedoch befinde, wird mir erst wieder vollends bewusst, als ich in einem Teesalon sitze und die Getränkekarte studiere: sicher nicht nur in der teuersten Stadt der Schweiz, sondern möglicher Weise auch gleichzeitig in der teuersten Stadt der Welt. Herein gelockt hatte mich das Verlangen, meine steifgefrorenen Gelenke aufzutauen, das angenehme Ambiente und das jüngere Publikum. Nun gut: der 20,-- Euro teure Tee ist wirklich gut und ich fühle mich zunehmend wohler. Lange halte ich mich nicht bei der Überlegung auf, wie viel Taschengeld die jungen Leute von ihren Eltern wohl bekämen. Ich möchte mich noch etwas in der Stadt umsehen und nehme mir meinen Reiseführer zur Hand.

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Vom römischen Kastell bis zum „Reformierten Rom an der Limmat“ – Ein Blick zurück in die Geschichte Zürichs ist auch ein Blick auf die Reformation in der Schweiz

Wie so viele andere von der Natur gegebenen Verkehrswege und -kreuzungen besaß der auch heute noch wichtige kontinentale Verkehrsknotenpunkt Zürich in der Antike eine hohe strategische Bedeutung. Folgerichtig erkannte das selbstverständlich auch die damalige Großmacht Rom und errichtete hier einen ihrer militärischen Stützpunkte zum Ausbau und zur Festigung ihrer Macht in Europa. Dieser Stützpunkt, ein Kastell und eine römische Zollstation zogen erste Siedler an. Turicum, so hieß die Ansiedlung aus der später die Stadt Zürich hervorging, blieb jedoch bis ins Mittelalter hinein eine eher sehr kleine Siedlung. 

Zürich erlangte um 1262 den Status einer freien Reichstadt und schloss sich 1351 den schweizerischen Eidgenossenschaften (den „Alten Eidgenossenschaften“) an, um ihre  Unabhängigkeit gegenüber den aufstrebenden Habsburgern zu sichern.

Hier in Zürich, am Großmünster, war ab dem 01. Januar 1519 der Reformator Ulrich Zwingli (geboren am 01. Januar 1484 in Wildhaus, Kanton St. Gallen, gestorben am 11. Oktober 1531 in Kappel am Albis, Kanton Zürich) als „Leutpriester“ (Pfarrer) tätig. Zwei seiner Ansichten, die zu Verwerfungen mit der römisch-katholischen Kirche führten, waren seine Gegnerschaft gegen das Fasten und gegen die Zölibatsverpflichtung. Eine Ungeheuerlichkeit für die damalige Zeit muss das aus Protest gegen das Fasten durchgeführte „Wurstessen“ am ersten Sonntag der Fastenzeit 1522 („Froschauer Wurstessen“ am 09. März 1522) gewesen sein. Für die Reformation in der Schweizmuss dieses Fastenbrechen aus Sicht von Religionsforschern so bedeutsam gewesen sein, wie der Anschlag der 95 Thesen Martin Luthers an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg (31. Oktober 1517) für die evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland. Papst Hadrian VI. versuchte anfangs Zwingli und seine Verbündeten auf den „rechten Weg“ zurückzuführen. Der Vorwurf der Ketzerei seitens der Zürcher Dominikaner gegenüber Zwingli verschärfte jedoch die Auseinandersetzungen so weit, dass der Rat zu Zürich zwecks Deeskalation – so würde heute ein solcher Schlichtungsversuch bezeichnet werden – zu einer Diskussionsrunde einlud, die als die „Erste Züricher Disputation“ bekannt wurde. Der ersten Disputation vom 29. Januar 1523 folgten bis Januar 1524 zwei weitere, an denen hunderte Kleriker und weltliche Personen teilnahmen und die letztlich zur Züricher Reformation von 1525 führten (Säkularisation von Klöstern, Aufhebung derZölibatsverpflichtung, neue Sittengesetze, neue Liturgie, Neuübersetzung der Bibel: „Zürcher Bibel“ von 1529). Die Bezeichnung „Reformiertes Rom an der Limmat“ verdeutlicht gut die Bedeutung Zürichs für die reformatorische Bewegung.

Dennoch, trotz aller Reformbewegungen, auch die Zürcher Bevölkerung musste unter dem Hexenwahn leiden. Von Ende des 15. Jahrhunderts bis ins Jahr 1701 (!) wurden Hexenprozesse durchgeführt und Menschen wegen dieses Irrsinns verfolgt, gefoltert und getötet. Erst im Jahre 2001 – aber immerhin – wurden diese Opfer rehabilitiert und durch den Regierungspräsidenten Markus Notter und dem Kirchenratspräsidenten Ruedi Reich diese Justizmorde verurteilt.

 

Vom Stadt-Staat zur Großstadt

Die politische Neuordnung Zürichs und ihres Umlandes beginnt mit dem Einmarsch der napoleonischen Armee 1798. Die „Freie Republik Zürich“ wurde im Rahmen der Umsetzung der neuen helvetischen Verfassung in die Stadt und den Kanton gleichen Namens umgewandelt.  Zu dieser Zeit erlebt diese Region auch einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung durch die Entwicklung der Textilindustrie und ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Gründung zahlreicher Banken und Versicherungsunternehmen.

Das heutige Zürich, die Großstadt, verdankt ihre bevölkerungsmäßige Entwicklung eben den boomenden Finanz- und Dienstleistungsbereichen sowie den Eingemeindungen von 1893 und 1934 – diesmal nicht durch regionale Kriege gegen das Umland wie im 17. und 18. Jahrhundert, sondern durch Gebietsreformen – oder war dieser Vergleich zu grob: dann bitte ich um Entschuldigung.

Während meiner Spaziergänge durch Zürich kommt in mir jedoch nie das Gefühl auf, durch eine unpersönliche Großstadt zu laufen. Zu schön sind die malerischen Gassen, die Sträßchen mit ihren erkerverzierten Häusern, der Blick auf die Münsterbrücke, die vielen Türme, der in die Stadt hineinreichende Zürichsee und die Ufer der Limmat und der Sihl.