Fahrradreise durch Burgund (Fotos auf Folgeseite)   

Ein radelnder Reporter auf historischen Spuren

 

Tour durch Süd-Burgund, Teil1, Auf dem „Voie des Vignes“ und dem „Voie verte“  von Meursault nach Cluny

 

Ein Museum für die Schwarze Johannisbeere und die bedeutendste Siedlung der Häduer

 

Die Bourgogne (Burgund), eine Region im Zentrum Frankreichs, per Fahrrad zu erkunden reizte uns nicht nur ihrer landschaftlichen Schönheit und kulinarischen Genüsse wegen, sondern auch aufgrund ihres politischen und religiösen Einflusses auf das Europa des Mittelalters.

Bekannt aus dem Geschichtsunterricht und von der Durchreise nach Südfrankreich reizte es uns zunehmend, einen Teil der Bourgogne mit dem Fahrrad zu erkunden. Wir verlassenden Kölner Raum an einem regnerischen Vormittag und erreichen Meursault – unseren Start- und Zielort – nachmittags. Nachdem noch bei Dijon dunkle Gewitterwolken über uns hinweg zogen, empfängt uns Meursault mit angenehm wärmender Sonne. Das tut gut, aber auch unsere Muskulatur verlangt nach einem „warm-up“, um sich auf die nächsten fünf Tage einzustellen. Somit sondieren wir die nähere Umgebung Meursaults und erfahren später bei einem Besuch des Museums „Cassissium“ (ganz der Schwarzen Johannisbeere gewidmet) in Nuits-Saint-George, dass wir nicht nur Weinreben gesehen haben, sondern mit Sicherheit auch die Schwarze Johannisbeere, auf den ersten Blick kaum von Weinreben zu unterscheiden.

 

Kultivierung von Wein und Johannisbeere nebeneinander.

Worauf beruht nun die Bedeutung dieser Beere für Burgund; warum wurde ihr sogar ein Museum gewidmet? Nachdem die Reblaus Ende des 19. Jahrhunderts auch in der Bourgogne weitreichende Schäden anrichtete, suchten betroffene Weinbauern einen Ausweg aus der sich anbahnenden wirtschaftlichen Katastrophe und retteten sich schließlich in die Kultivierung der Schwarzen Johannesbeere – Cassis. Parallel hierzu verfolgten sie den Wiederaufbau der Weinkulturen unter neuen Qualitätsaspekten.  Mit konsequent durchgeführten Maßnahmen legten sie die Grundlage für den heutigen guten Ruf der Burgunder Weine: nur noch Verwendung der besten Böden und bester Weinsorten. Weniger hochwertige Böden blieben danach der Schwarzen Johannisbeere vorbehalten: so existieren hier heute Kultivierung von Wein und von Schwarzer Johannisbeere nebeneinander.

 

Von Etappe zu Etappe Quartiere mieten.

Am nächsten Tag starten wir zu unserem ersten Etappenziel, Chalon sur Saône. Bis dorthin durchqueren wir –  weitestgehend vom Autoverkehr verschont – Weinberge auf dem „Voie des vignes“, werden bis auf die Haut nass (zum Glück der einzige Regenschauer während unserer fünftägigen Radtour), stellen uns in Santaney unter, radeln den „Canal du Centre“ entlang und machen – inzwischen weitgehend durch die Sonne getrocknet  –  Rast in Chagny. Angekommen in Chalon sur Saône checken wir ein –  wir wollten es eben bei allem sportlichen Ehrgeiz auch erholsam und bequem haben und so buchen wir, das „Wischphone“ zur Hand, von Etappe zu Etappe unsere nächsten Quartiere.

Danach machen wir uns „fein“ für eine Erkundungstour durch die Stadt, deren Geschichte bis in die Antike zurückreicht.  

Bereits die Häduer (die Feurigen), deren Siedlungsgebiet sich zwischen Saône und Loire bis nach Lyon erstreckte, schätzten die Saône als Handels- und Verkehrsweg und gründeten auf dem Gebiet des heutigen Chalon sur Saône eine ihrer bedeutendsten Siedlungen. Die Häduer, der zahlenmäßig stärkste der gallischen Stämme, schlossen sich um 57 vor unserer Zeitrechnung dem allgemeinen Aufstand der gallischen Stämme gegen die Römer an. Doch für sie ging die Niederlage der Gallier um 51 vor unserer Zeitrechnung noch glimpflich aus. Ebenso wie die Averner wurden die Häduer nicht durch den Sieger versklavt. Der Gegnerschaft folgte ein Bündnis - wir kennen dies ja auch aus der Neuzeit. Als Verbündete Roms übernahmen sie sodann die Vorherrschaft unter den gallischen Stämmen. So „befriedet“ entwickelten die Römer das heutige Chalon aufgrund seiner strategischen Lage zum regionalen Flottenstützpunkt und Versorgungsort. Eine Beschreibung Cabillonums (Cabillonum ist der römische Name dieser Siedlung) findet sich auch in Cäsars Schrift „De bello Gallico“.  

Wie so viele Regionen und Städte Europas erlebte Chalon sur Saône seit ihrer Gründung in der Antike bis in die Neuzeit hinein alle Höhen und Tiefen: wirtschaftliche Bedeutung, Zerstörung, Wiederaufbau, wechselnde Herrschaftsverhältnisse, den Aufstieg Burgunds zur starken europäischen Mittelmacht unter Karl dem Kühnen (Karl I., Herzog von Burgund und Luxemburg, geboren 10.November 1433, gestorben 05. Januar 1477), schließlich dessen Scheitern und den Niedergang Burgunds.

 

Museum für den Entwickler der Fotografie.

Im 19. Jahrhundert schließlich profitierte die Stadt vom Bau des „Canal du Centre“, der jedoch sehr bald mit dem Bau der Eisenbahnverbindungen seine Bedeutung verlor. Seit vielen Jahren wird dieser malerisch in die Landschaft eingebettete Kanal nur noch touristisch genutzt, eine Freude für Freizeitkapitäne und Radwanderer. 

Die heutige wirtschaftliche Bedeutung der Stadt begründet sich auf die hier angesiedelte Messe und diverse Industriegesellschaften, zum Beispiel Unternehmen der chemischen Industrie (Kodak), der Glasindustrie und des Maschinenbaus. Als Chalons berühmtester Bürger gilt Joseph Nicéphore Nièpce (geboren 07. März 1765, gestorben 05. Juli 1833), dem Entwickler der Fotografie (damals „Heliografie“ genannt), dem auch ein gleichnamiges Museum (am Ufer der Saône) gewidmet ist.

Vom Leben der Häduer und Römer nimmt heute der Tourist nichts mehr wahr (außer einer Ausstellung römischer Funde im Museum „Vivant-Denon“), wohl aber von der Bedeutung der Stadt im späten Mittelalter.

 

Eine Uhr aus dem 15. Jahrhundert.

Unser Weg führt uns zuerst die Saône entlang, wo uns auf einer Halbinsel der Altstadt gegenüber das Ancien Hôpital und ein Turm auffallen. Bei dem Turm – „La Tour Doyenné“ –  handelt es sich um einen ehemaligen Uhrturm aus dem 15. Jahrhundert. Ursprünglich stand dieser Uhrturm neben der Kathedrale St. Vincent. Demontiert im Jahre 1907 sollte er zuerst nach Paris verkauft werden, wurde dann aber Chalon sur Saône gespendet und als Aussichtsturm an seiner heutigen Position aufgebaut. Wir wenden uns von der Saône ab und betreten die pittoreske historische Innenstadt. Sehenswert sind hier neben der Kathedrale St. Vincent und die Kirche St. Pierre, gelegen am „Place de l`Hotelde Ville“ und umrahmt von futuristischen Straßenlaternen, auch die alten Gassen mit ihren Fachwerkhäusern und Plätzen. Dies alles bildet eine herrliche Kulisse für das jährlich stattfindende Theaterfestival „Chalons dans la rue“, das seit 1986 jedes Jahr Mitte Juli stattfindet – dem in Avignon schon länger stattfindendem Festival entlehnt?

 

Ein alter Bahndamm, heute „Voie verte“ führt uns zum zweiten Ziel.

Nur zwei, drei Kilometer durch die Stadt und wir erreichen wieder den „Voie verte“. Unterwegs passieren wir einige kleinere Landschlösser. Das in Cormatin gelegene Wasserschloss ausdem 17. Jahrhundert wollen wir aber nicht nur von außen betrachten und machen hier einen längeren Zwischenstopp. Dieses Schloss zeichnet sich durch prächtig ausgestattete Räume und eine schöne Gartenanlage inklusive einem Nutzgarten aus. Über dem Hauptportal fällt uns eine Büste auf, die König  

Henry IV. darstellt (geboren 13. Dezember 1553, ermordet 14. Mai 1610 in Paris, von 1589 bis zu seiner Ermordung König von Frankreich, genannt „Unser guter König“). Erstaunt über diese exponierte Präsentation der Büste Henry IV. frage ich die jungen Damen, die am Eingang zum Wasserschloss Dienst tun, und bekomme in Deutsch (das kam häufiger vor: die deutsch lernenden jungen Franzosen/Innen waren begierig, ihre Deutschkenntnisse auch anzuwenden) die Erklärung: seine zweite Ehefrau, Maria de` Medici (geboren 26. April 1575, gestorben am 03. Juli 1642 in ihrem Exil in Köln, Sternengasse), war mit Claude Phélipeaux, der Ehefrau des Marquis Jacques du Blé, dem Erbauer des Wasserschlosses, eng befreundet. Jacques` Vater, Antoine du Blé, war ursprünglich der Katholischen Liga unter der Führung der Herzöge von Guise (verantwortlich für die Massaker an den Hugenotten) verpflichtet. Im Verlaufe der sogenannten Hugenottenkriege verbündete sich Antoine du Blé mit Henry IV., der Beginn einer freundschaftlichen Verbundenheit beider Häuser. Schließlich löste Antoine du Blé Süd-Burgund aus dem Einflussbereich der Herzöge von Guise heraus und unterstellte es dem französischen König - nicht zu seinem Nachteil. Antoine du Blé wurde schließlich zum Militärgouverneur von Chalon sur Saône ernannt, kam zu Wohlstand und konnte sich dieses Schloß bauen. 

 

Krieg um politische Macht und Einfluss auf Frankreich.

Dies zeigt, dass auch der Hugenottenkrieg kein reiner Religionskrieg war, sondern vielmehr ein Krieg um politische Macht und Einfluss auf Frankreich. Jacques siedelte um 1610 an den Königshof zu Paris um, lernte dort Claude Phélipeaux kennen, beide verliebten sich und heirateten. Zum Gedenken an die politische und private Verbundenheit beider „Häuser“ und zu Ehren des ermordeten, auch von ihm sehr geschätzten Königs Henry IV. ließ Jasques du Blé das Hauptportal seines Schlosses mit dieser Büste schmücken.

 

 

Tour durch Süd-Burgund, Teil 2, Auf dem „Voie verte“  von Cluny nach Mâcon

 

Mittelalterliches Zentrum des Christentums und ein Tunnel als Winterquartier für Fledermäuse

 

Cluny,  Monument der religiösen Durchdringung des Mittelalters und einer Kirchenrechtsreform. 

In Cluny angekommen, beziehen wir unser Zimmer im „Clos Abbaye de Cluny“, ein „Chambre d`Hôtes“ (ähnlich „bed and breakfast“) direkt der Abbaye gegenüber liegend. Hier lädt der sehr schöne, bunte Garten zum Verweilen ein und die stolzen, faul im Schatten liegenden Maine-Coon-Katzen, es ihnen gleich zu tun. Nun, dafür sind wir nicht nach Cluny geradelt und frei nach dem Motto „Wozu lange hier verweilen, woanders ist es auch sehr schön“ mache ich mich auf den Rundweg durch Cluny, diesem kleinen Städtchen mit weniger als 5.000 Einwohnern. Ich schaue mir Häuser im romanischen Stil an, durchstreife die mittelalterlichen Gassen und tangiere Teile der alten Abbaye, zum Beispiel den Käseturm. Dabei wird mir bewusst, welche gigantischen baulichen Ausmaße diese im Mittelalter so einflussreiche Benediktinerabtei hatte, bis sie in Folge der französischen Revolution als „Lieferant“ für Baumaterial diente und weitgehend abgetragen wurde, zum Beispiel für den Bau der Pferdezucht „Haras National“.

Gegründet im Jahre 910 durch Wilhelm I., Herzog von Aquitanien (genannt „Wilhelm, der Fromme“) entwickelte sich die Benediktinerabtei zum zeitweise größten Kloster Europas mit etwa  400 Mönchen im  12. Jahrhundert und Einfluss auf etwa 1.200 Benediktinerklöster mit etwa 20.000 Mönchen. Von Anfang an, mit Gründung des Klosters standen die Benediktinermönche mit ihren Regeln (unter anderem Askese, Demut, Gehorsamkeit) in Opposition zum sinnenfreudigen, feudalen Leben des höheren katholischen Klerus und der Päpste. Aus dieser Haltung heraus, der Bedeutung der Abtei Cluny und durch den Einfluss der von hier aus häufig nach Rom entsandten Benediktinermönche entwickelte sich eine Reformbewegung, die als „Cluniazensischen Reform“ bekannt wurde und unter dem fünften Abt von Cluny (Abt Odilo, geboren 961 oder 962 und Abt von 994 bis zu seinem Tod im Jahre 1094) vollendet wurde. Im rechtlichen Sinne verfolgte diese Reform eine Stärkung der Klöster gegenüber den Bistümern und weltlichen Herrschern, niemals jedoch die Vorrangigkeit des Papsttums in Frage stellend. Die der cluniazensischen Reform in Gänze folgenden Klöster lösten sich letztlich kirchenrechtlich aus den örtlichen Diözesen heraus und unterstellten sich direkt dem Papsttum – Äbte dieser Klöster waren somit Bischöfen gleichgestellt. Als Modifikation hiervon gilt das Reformmodell des Siegburger Benediktinerklosters Michaelsberg, wonach ein Kloster weiterhin dem örtlichen Bischof unterstellt blieb.

 

Der „Voie verte“ von Cluny nach Mâcon bringt heute den trainierten Radler ins Schnaufen wie einst eine Dampflok

Am nächsten Tag, nach einem reichhaltigen Frühstück im Garten, der mich am vorherigen Nachmittag beinahe um den Rundgang durch Cluny gebracht und zum „Faulenzen“ verführt hätte, besichtigen wir einen Teil der alten Klosteranlage, werfen einen Blick von einem der höher gelegenen Gärten auf das Pferdegestüt. Danach „satteln“ wir wieder unsere Räder und begeben uns auf den Weg nach Mâcon. Die ersten zehn Kilometer des „Voie verte“ führen stets gemäßigt bergauf, bis es kurz vor einem ehemaligen Eisenbahntunnel zunehmend steiler wird. Kaum zu glauben, dass seinerzeit Züge diese Steigung ohne zweite Lokomotive geschafft haben sollten. Ich jedenfalls komme hier an meine Leistungsgrenze und muss – ganz auf meine eigene Muskelkraft beschränkt – absteigen und schieben. Der etwas weniger als zwei Kilometer lange Eisenbahntunnel verschafft dann – wenn er für den Radler oder Wanderer geöffnet ist – eine gewisse Erholung: kühl und ohne Steigung radelt es sich eben angenehmer.

In den Monaten Oktober bis März ist dieser Tunnel, wie es häufig für stillgelegte Tunnel gilt (zum Beispiel auch der sogenannte „Fledermaustunnel“, Teil des Sauerland Randrings bei Elslohe) Winterquartier für Fledermäuse und zu deren Schutz und Ruhe für Radler und Wanderer geschlossen.

Am westlichen Ausgang des Tunnels eröffnet sich der Blick frei in die Landschaft und auf die Festung „Berzé-le-Châtel“, die im Zeitraum vom 13. bis zum 15. Jahrhundert  hoch über den Weinbergen und um eine karolingische Kapelle herum errichtet wurde. Nach einem kurzen Fotostopp geht’s weiter bis Prissé, wo wir uns eine alte Waschanlage an einem Nebenfluss der Saône anschauen. Hier ist das Autowaschen verboten, eigentlich traurig, dass hierauf hingewiesen werden muss. Weil ich nicht so viele Kalorien abradeln kann wie ich aufnehme, bleibt es bei unserer Rast in Prissé bei einem Stück „tarte aux pommes“ und einer Tasse Kaffee, obwohl auch hier das Mittagsmenü – wie immer in Bistros, wo viele Handwerker anzutreffen sind – verführerisch aussieht. 

 

Gegenüber von schönen Orten kann es noch schöner sein (als richtig befundene These eines Dorfphilosophen)

Vom „Voie verte“ kommend, sind es nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze Mâcons bis zu unserem Domizil am Ufer der Saône – mit freiem Blick auf das gegenüber liegende Saint-Laurent-sur-Saône. Mâcon ist sehr schön, aber Saint-Laurent-sur-Saône ist um vieles schöner, wie wir abends beim Essen feststellen. Warum? Weil, dortsitzend, sich dem Betrachter die malerische Silhouette Mâcons darbietet, besonders mit Einbruch der Dunkelheit, wenn der „Pont Saint-Laurent“ und die Gebäude am Ufer wie auch die aus der Silhouette herausragenden Kirchtürme beleuchtet sind.  Dies wissen wir noch nicht, stellen es aber schnell fest, als wir uns auf der Terrasse des Restaurants „L`Autre Rive“ am letzten nicht reservierten Tisch niederlassen.

Vorher jedoch gilt es, Mâcon zu erkunden und auf geht’s „per pedes“.

 

Eine Furt der Saône beim heutigen Mâcon, idealer Ort zur Stadtgründung – und zur Erhebung von Steuern

Wie der Main bei Ochsenfurt in Unterfranken (Deutschland) und die Themse bei Oxford (England) befinden sich auch hier an der Saône eine Furt und damit ideale Verhältnisse für Verkehr und Handel. Diesen günstigen Übergang über die Saône nutzend, gründete der keltische Stamm der Häduer hier bereits im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine Siedlung unter dem Namen „Matisco“.  Später unter der Herrschaft der Römer erlangte Mâcon – das römische „Civitas Masticonensis“ – ähnlich Chalon sur Saône zunehmend militärische und wirtschaftliche Bedeutung, unter anderem durch das hier errichtete befestigte Militärlager (Castrum). 

Danach über Jahrhunderte hinweg im Wesentlichen dieselben Höhen und Tiefen, dasselbe Schicksal, friedliche Zeiten, Krieg und Verwüstung, Wiederaufbau  wie so viele andere Städte und Regionen in Europa. Dabei wird mir wieder bewusst, wie privilegiert wir in der Mitte Europas doch sind und wie glücklich ich mich schätzen darf, nicht in wirren, kriegerischen Zeiten oder Regionen zu leben – und, dass es gilt, unsere Freiheit und unseren Wohlstand zu bewahren und zu verteidigen, zu verteidigen in jeglichem Sinne. 

Zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt hat auch ihre Lage zwischen dem Königreich Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation beigetragen und dank der hier fälligen, zu zahlenden Zollsteuern floss reichlich Geld, auch ins Stadtsäckel.

Seit der napoleonischen Gebietsreform 1790 ist Mâcon Sitz der Präfektur des damals neu gebildeten Départements „Saône-et-Loire“.

Touristisch interessiert haben uns die eindrucksvollen Reste der alten Kathedrale „Saint-Vincent“, von der nur noch die beiden verschieden gestalteten Türme und die Vorhalle stehengeblieben sind, und die in früherer Zeit weithin das Stadtbild Macons prägte. Nicht Zerstörung durch Krieg oder sonstige Einwirkungen, sondern auf Grund ihrer Baufälligkeit wurden aus Sicherheitsgründen 1799 große Teile der Kirche abgetragen. Die neue Kathedrale wurde im 19. Jahrhundert inmitten der Stadt im romanischen Stil errichtet und Saint Pierre gewidmet.

Nach dem Stadtrundgang haben wir uns unser Abendessen redlich verdient und begeben uns auf die Terrasse des „L`Autre Rive“. Das Essen und der Blick sind ganz hervorragend – und ich kann dank dem kargen Mittagsmahl die vier Gänge gut vertragen und gesättigt, mit Sicht auf das erleuchtete Mâcon die Seele baumeln lassen.

 

 

Tour durch Süd-Burgund, Teil 3, Entlang der Saône von Mâcon über Tournus und von Beaune nach Meursault auf dem „Voie des Vignes“

 

Ein luxuriöses Essen für den durchreisenden Touristen und ein Krankenhaus für Arme des 15. Jahrhunderts

 

Nicht nur die Kirche errichtete imposante Sakralbauten, sondern auch die Post. 

In Mâcon brechen wir bei strahlendem Sonnenschein auf und machen uns auf den Weg nach Tournus.

Ab Mâcon geht es etwa 35 Kilometer immer die Saône entlang auf dem „Voie bleue“ bis Tournus. Auch diese Strecke ist gesäumt von dutzenden von Weingütern und einigen kleinen Landschlössern oder -gütern – wie es typisch ist für Burgund. Aber auch einen größeren Nutzbaumwald durchqueren wir – alle Bäume stehen in „Reih und Glied“ wie Zinnsoldaten, sofern sie nicht schon geerntet sind.  Dann kommen wir auf ein unangenehmes Teilstück des „Voie bleue“. Hier besteht die Wegeoberfläche über mehrere Kilometer aus Splitt, kein Blick mehr in die Landschaft: das Radeln erfordert höchste Konzentration.

Kurz vor Tournus, einer Kleinstadt mit weniger als 6.000 Einwohnern, wird der Radweg dann wieder besser und ich erreiche die Altstadt ohne Blessuren, entkomme auch den sich durch die Gassen quälenden Automobilen. Tournus entwickelte sich um eine ehemalige Benediktiner-Abtei, die um 875 von Karl II. erbaut wurde, um Mönchen, die vor den Normannen flüchten und ihr auf einer Atlantikinsel vor der Loire-Mündung stehendes Kloster aufgeben mussten, eine neue Heimstätte zu bieten. Karl II., genannt „Karl der Kahle“ (geb. 13. Juni 823 in Frankfurt am Main, gest. 06.Oktober 877 in Avrieux) stammt aus dem Hause der Karolinger und war von 843 bis 877 König von Westfranken sowie ab 875 auch König von Italien und Römischer Kaiser. Seinen Zunamen erhielt Karl II. weil er ursprünglich bei der Aufteilung des Frankenreiches nicht berücksichtigt wurde und somit „kahl“ im Sinne von „ohne Land“ war.

Die ehemalige Abteikirche Saint-Philibert ist eine der bedeutendsten frühromanischen Kirchen Frankreichs. Sie wurde im Jahre 1019 nach rund zwanzig Jahren Bauzeit fertiggestellt und geweiht. In der Krypta (unbedingt besichtigen!) befindet sich einem recht großen Kreuzgang benachbart ein etwa zwanzig Meter tiefer Brunnen. Sehenswert ist innerhalb der Kirche unter anderem eine dem Erzengel Michael – meinem Namenspatron – geweihte Kapelle und zudem ein Mosaik im antiken Stil aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, das ursprünglich alle Sternzeichen zeigte. Gut erhalten sind davon nur noch vier, darunter allerdings zu meiner Freude mein Sternzeichen „Zwilling“.

Während unseres Rundgangs durch Tournus fällt mir – wie in so manchen Städten – auf, dass das Postwesen (und später die Telegraphie/das Telefon) reine „Gelddruckmaschinen“ gewesen sein mussten. Unter Zweck- und Verwaltungsgebäuden ragen die derPost-/Telegraphenverwaltung durch schöne und teure Architektur hervor – so auch in Tournus die „Alte Post“.

 

Im Dorf Flagey-Echezaux lässt es sich gut leben: Hervorragende Unterkunft im kleinen, privaten Hotel Losset und leckeres Essen nebenan bei Simon.

Die zweite Hälfte des Tages beginnt mit einem rasanten Ortswechsel – wir nehmen den Zug und fahren nach Gevrey Chambertin. Vorher wird’s aber anstrengend: mit den Rädern und dem Gepäck treppab treppauf zum Gleis 2 – bei Rechtsverkehr auch auf diesem Streckenabschnitt wäre uns das erspart geblieben. Das Teilstück bis zu unserem Quartier in Flagey-Echezaux beträgt nur 15 Kilometer, aber schwere. Die Sonne brennt nun doch etwas stärker, unsere Getränkevorräte sind aufgebraucht und wir passieren nur sich im tiefen Mittagsschlaf befindliche Dörfer. Rettung verspricht in Gilly-lès-Cîteaux das Tagungshotel im Chateau de Gilly.

Dieses Anwesen diente ab 1299 den Äbten der Zisterzienser als Residenz. Übrigens benannten sich die Zisterzienser nach diesem Kloster in Cîteaux, von wo aus Anfang des 12. Jahrhunderts weitere Klöster in Konkurrenz zum Benediktinerorden gegründet wurden. Zunehmende Auseinandersetzungen zwischen den Zisterziensern und den Benediktinern führten dann im 12. Jahrhundert zum Niedergang der Abtei Cluny – und zum Aufstieg der Zisterzienser.

Hier, in diesem Tagungshotel sind wir auch als durchreisende Fremde in „wilder“ Radlerkleidung und verschwitzt willkommen und bekommen zu normalen Preisen auf der Terrasse mit schönem Blick auf die Gartenanlage von einem livrierten Kellner kühle Getränke serviert. So erreichen wir unser vorletztes Etappenziel nicht mumifiziert, sondern frisch und erholt. 

Abends, nach einer anstrengenden Etappe tut uns das kulinarische Verwöhnprogramm im Restaurant Simon sehr gut. Hier erhalten wir für 40,-- Euro ein ganz phantastisches und liebevoll serviertes 4-Gänge-Menü: eine Empfehlung für jeden Durchreisenden, gegebenenfalls ein paar Kilometer Umweg in Kauf zu nehmen (Reservierung unbedingt ein paar Tage vorher nötig).

 

Beaune – ehemaliger Wohnsitz der Herzöge von Burgund und heute eines der Zentren des Weinbaus.

Von Flagey-Echezaux nach Beaune sind es gut 30 Kilometer und weil es in Beaune viel zu sehen gibt, geht’s ziemlich früh weiter. Auf dem Weg machen wir in Nuits-Saint-Georges Halt, um das „Cassissium“ zu besuchen, ein Museum, ganz der Schwarzen Johannisbeere – dem Cassis – gewidmet. Von einer sehr netten und sehr gut Deutsch sprechenden jungen Dame erhalten wir einen wesentlichen Überblick über die Schwarze Johannisbeere, deren Bedeutung für die Region nach großen Zerstörungen durch die Reblaus und den Möglichkeiten, Cassis zu verarbeiten. Natürlich lässt sich Cassis auch zur Produktion von Likör, der „Crème deCassis“, verwenden und zwar indem die Beere schockgefroren wird, bei  -5° Celsius gehalten und über mehrere Wochen in eine Mischung aus Alkohol und Wasser eingelegt wird. Wer kennt nicht das Kultgetränk der Münchener Schickeria „Kir Royal“ – eine Mischung aus Champagner und einem „Schuss“ Crème de Cassis – bekannt geworden durch die gleichnamige satirische TV-Serie aus den 1980`er Jahren. Als Mitbringsel entscheide ich mich dann aber, zwei Gläser Senf und Cassis-Bonbons mitzunehmen, nicht nur der begrenzten Transportmöglichkeit wegen.

 

Reflexionüber die französische Art zu leben.

Angekommen in Beaune begeben wir uns auf kurzem Weg ins Zentrum und gewinnen einen ersten Eindruckvon der mittelalterlichen Pracht des Ortes. Die Stadt Beaune, die sich aus einem keltischen und späteren römischen Heiligtum heraus entwickelte, fungierte im 14. Jahrhundert neben Dijon als einer der Hauptsitze der Herzöge von Burgund. Nach dem Tode Karls des Kühnen (geb. 10. November 1433, gest. 05. Januar 1477) wurde Beaune durch Frankreich annektiert. Karl der Kühne, der mit Kriegen einhergehende Aufstieg und Untergang Burgunds, das Mittelreich zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gelegen, füllen ganze Geschichtsbücher.

Hungrig machen wir auf der Terrasse eines Bistros Rast. Hier in der Sonne bei Kaffee, Wasser und Waffel mit Sahne sitzend, beobachte ich wiederholt auf dieser Reise die Lebensart der Franzosen. Trotz aller Annäherung der Kulturen unterscheiden sich doch die französische Lebensart und die deutsche meiner Meinung nach immer noch, was Lockerheit und Lebensfreude betrifft. Um die Mittagszeit sind die Bistros hier immer gut gefüllt, man macht ausgiebig Mittag bei ausgewogenem Essen, unterhält sich, trinkt anschließend Kaffee, hält ein „Schwätzchen“ – auch diejenigen lassen sich dabei Zeit, die offensichtlich Arbeitspause machen, egal ob Handwerker oder Anzug-Träger/Jackenkleid-Trägerin. Wenn ich meine Berufszeit reflektiere, erinnere ich mich an die Ansage eines meiner ehemaligen Chefs, sein Mittagessen in Rekordzeit herunter schlingend: „Wenn Sie  nicht schneller essen, kommen Sie nie ins Management!“ (Anmerkung ehrlichkeitshalber: diese Aussage hätte zu mancher Zeit auch von mir stammen können). Hier jedoch lässt man in der Pause die Seele baumeln, erholt sich und pflegt Kontakte. Dies ist vielleicht etwas zu klischeehaft, ansatzweise dennoch Merkmal kultureller Unterschiede.

 

Ein Krankenhaus für Arme und heute Teil des „Hospices Civile de Beaune“.

Danach machen wir uns auf den Weg durch Beaune, besichtigen die Basilika „Notre-Dame“, das im „Hôtel des Ducs“ untergebrachte „Musée du vin“, wo gigantische Weinpressen zu sehen sind, natürlich auch das „Hôtel-Dieu“ und einen Teil der alten Festungsmauer. DasHôtel-Dieu – heute wird das Anwesen teilweise für das „Hospices Civile de Beaune“  genutzt – sehe ich als besonders hervorzuheben an: dieses seinerzeit einmalige und richtungsweisende Krankenhaus wurde nach Ende des „Hundertjährigen Krieges“ 1443 von Nicolas Rolin (geb. 1376 und gest. 1462 in Autun; Kanzler des burgundischen Herzogs Philipp des Guten) und seiner Ehefrau, Guigone de Salins (geb. 1403, gest. 24. Dezember 1470 in Beaune) für die völlig verarmte und vom Hungertod bedrohte Bevölkerung der bereits seinerzeit eigentlich sehr reichen Côte-d`Or (die Region um Beaune) gespendet – wohl nicht nur aus reiner Menschenliebe heraus. Eine kleine „Gänsehaut“verspüre ich, als ich den Krankensaal besichtige. Inmitten der Betten für Kranke befindet sich der „Operationssaal“, nur von Vorhängen vom übrigen Raum abgetrennt. Heute ein Grauen, damals jedoch Hoffnung für den Kranken oderVerletzten.

 

Weiter geht’s wieder quer durch dutzende von Weinbergen auf dem „Voie des Vignes“ bis Meursault, unserem Start- und jetzt Zielhafen.